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So macht sich der Fachkräftemangel vor Ort bemerkbar

Der Fachkräftemangel in den Kindertagesstätten spitzt sich zu. Während die Landes-FDP vor einer Bildungskatastrophe warnt, weist Gemeindetagspräsident Steffen Jäger auf die gewaltigen Anstrengungen der Kommunen in den vergangenen 15 Jahren hin. die:gemeinde-Aktuell hat sich in drei Kommunen umgehört und gefragt, wie sich die personelle Situation vor Ort darstellt.

Es ist eines der dominierenden kommunalen Themen dieser Tage: Der Fachkräftemangel in den Kindertagesstätten wird immer prekärer. die:gemeinde-Aktuell hat in der vergangenen Woche über den Fall der Universitätsstadt Tübingen berichtet, die die Öffnungszeiten in ihren Einrichtungen von der kommenden Woche an gezwungenermaßen anpasst, weil sie Dutzende Stellen im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht besetzen kann. die:gemeinde-Aktuell hat sich in dieser Woche bei drei weiteren Kommunen, Bietigheim-Bissingen, Neckarbischofsheim und Mössingen, umgehört. Wie stellt sich die Situation vor Ort dar? Welche Maßnahmen sind geplant oder bereits ergriffen worden? Wie bereits zu erwarten war, hat die Fachkräfte-Krise auch kleinere Städte fest im Griff. So berichtet die Leiterin des Presseamts in Bietigheim-Bissingen, Annette Hochmuth, dass die Verwaltung bereits Vorkehrungen getroffen hat.

Bietigheim-Bissingen: Öffnungszeiten verkürzt, Gruppen tageweise geschlossen

„Wir haben bisher bereits Öffnungszeiten verkürzt, Einrichtungen oder einzelne Gruppen tageweise geschlossen und werden dies auch weiterhin tun müssen“, so Hochmuth. Verkürzungen von Öffnungszeiten seien schon jetzt teilweise über längere Zeiträume notwendig. Bietigheim-Bissingen hat einen Aushilfspool an Nicht-Fachkräften aufgebaut. Sie sollen die Einrichtungen unterstützen, damit Maßnahmen wie Öffnungszeitverkürzungen möglichst vermieden werden. „Auch helfen Fachkräfte der Einrichtungen untereinander aus, soweit dies möglich ist. Gruppen, die von ausreichend Personal betreut werden, haben wir entsprechend den Vorgaben des KVJS auch mit bis zu zwei Kindern überbelegt, um möglichst viele Kinder in die Betreuung aufnehmen zu können“, erklärt Hochmuth. Wie sie ausführt können diese Maßnahmen die angespannte Gesamtsituation nur oberflächlich abmildern. So sei beispielsweise eine Warteliste für Kita-Plätze nicht zu vermeiden.

Angebotserweiterung in Bietigheim vergrößert Personalbedarf 

Eine gewisse Ironie liegt in Bietigheim-Bissingen und vielen anderen Kommunen darin, dass der Fachkräftemangel wächst, weil Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren viel dafür getan haben, das Angebot zu verbessern. Je mehr Einrichtungen entstehen, desto mehr Fachkräfte werden eben auch gebraucht – das Angebot an ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern kommt diesem Wachstum aber nur schleppend hinterher. Der Fall Bietigheim-Bissingen belegt das. Annette Hochmuth sagt, dass die Stadt in den letzten Jahren die Ausbildungsplätze deutlich erhöht habe, um Nachwuchs zu gewinnen. Das sei auch gelungen. „Dennoch sind wir leider nie vollständig besetzt – was auch daran liegt, dass wir ein umfangreiches Bauprogramm zur Erweiterung der Kitas aufgelegt haben und umsetzen. Dadurch erhöht sich der Personalbedarf naturgemäß weiter“, so Hochmuth.

Neckarbischofsheim konnte Teilzeitkräfte aufstocken 

Etwas anders stellt sich die Situation in Neckarbischofsheim dar. Die Kleinstadt im Rhein-Neckar-Kreis kommt derzeit ohne Verkürzungen von Öffnungszeiten geschweige denn einer vollständigen Schließung von Einrichtungen aus, sagt Mareike Guschl vom Haupt- und Ordnungsamt auf Nachfrage. „Um dem Fachkräftemangel entgegenzustehen, konnten unsere Teilzeitkräfte aufstocken um sie zu halten“, sagt Guschl. Die Stadt plane außerdem, die Ausbildungsplätze zur pädagogischen Fachkraft von einem auf drei Plätze zu erhöhen.

Mössingen: Stadt erwägt Kürzung der Öffnungszeiten 

Abstriche müssen Eltern in der Großen Kreisstadt Mössingen im Landkreis Tübingen machen. Die Stadt hat drei Ganztageseinrichtungen, die bislang zwischen 45 und 50 Wochenstunden geöffnet haben. Wie Nicole Siller von der Hauptverwaltung auf Anfrage von die:gemeinde mitteilt, überlege man vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels allerdings, das Angebot auf flächendeckend 40 Stunden zu reduzieren. „Weitere grundsätzliche Maßnahmen haben wir nicht geplant. Temporär mussten wir bei einem hohen Krankenstand die Öffnungszeiten einschränken oder auch tageweise schließen“, sagt Siller.

FDP: „Bildungskatastrophe“ droht 

Das Thema frühkindliche Bildung schlägt auch landespolitisch weiterhin hohe Wellen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Landes-FDP ein Positionspapier, in dem sie Vorschläge zur Verbesserung der Situation machte. In einer Pressemitteilung forderte FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke mit Verweis auf eben jenes Papier „als Sofortmaßnahmen die Ausweitung des Fachkräftekatalogs nach Paragraf 7 Kitagesetz, den Abbau von Hürden bei der Einstellung von ausländischen Fachkräften – natürlich unter Einhaltung des Sprachniveaus B2 – sowie eine deutliche Erhöhung der Kapazitäten bei der praxisintegrierten Ausbildung (PiA) für unerlässlich.“ Rülke hatte vor einer sich abzeichnenden „Bildungskatastrophe“ gewarnt. In der frühkindlichen Bildung liege das meiste im Argen. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann beteiligte sich an der Debatte, indem er den Kommunen die Verantwortung für die Misere gab. „Es ist deren Aufgabe, nicht meine“, so Kretschmann laut dpa. Das Land dürfe sich natürlich dennoch nicht zurückziehen, relativierte er. Die Replik von Gemeindetagspräsident Steffen Jäger ließ nicht lang auf sich warten.

Steffen Jäger: Hinter Kommunen liegt Kraft- und Investitionsakt 

„Richtig ist, dass Kinderbetreuung eine kommunale Aufgabe ist. Der diesbezügliche Rechtsanspruch ist jedoch im Bundesrecht geregelt, die Erfüllungsstandards werden vom Land festgelegt. Und Baden-Württemberg gibt hier die im Bundesvergleich höchsten Erfüllungsstandards vor. Im Ergebnis führen Rechtsanspruch und höchste Standards nun aber leider in einer stark wachsenden Zahl an Einrichtungen zu einer Verunmöglichung der Aufgabenerfüllung.“ Dabei hätten die Kommunen in den letzten 15 Jahren einen gewaltigen Kraft- und Investitionsakt betrieben, so der Gemeindetagspräsident. „Die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher wurde mehr als verdoppelt und liegt zwischenzeitlich bei rund 100.000. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Plätze um rund 20 Prozent angestiegen. Allein in diesen 15 Jahren haben die Kommunen ihre Ausgaben von 1,6 Milliarden Euro auf rund 4,8 Milliarden Euro verdreifacht, was zum Teil auch durch eine überdurchschnittliche Gehaltsentwicklung beim pädagogischen Fachpersonal begründet ist.“

Jäger: Fingerpointing Richtung Kommunen hilft nicht 

Jäger weiter: „Damit ist die Kinderbetreuung die am stärksten subventionierte gemeindliche Leistung. Die Reduzierung der Öffnungszeiten oder gar die Schließung ganzer Gruppen sind also ganz offensichtlich nicht finanziell begründet, sondern dadurch, dass es faktisch nicht mehr Fachpersonal gibt. Und bei realistischer Betrachtung lässt sich dieses Fachpersonal auch auf absehbare Zeit nicht in der erforderlichen Zahl gewinnen, da es nicht am Markt verfügbar ist. Wenn also trotzdem jedem Kind ein bedarfsgerechtes Angebot gemacht werden soll, dann braucht es einen ernsthaften Dialog darüber, wie mit den tatsächlich verfügbaren und den realistisch verfügbar zu machenden Ressourcen die bestmögliche Lösung gestalten werden kann. Für einen solchen Dialog stehen die Kommunen jederzeit bereit. Ein einfaches Fingerpointing in Richtung der Kommunen hilft jedoch nicht. Vielmehr gilt auch für die Kinderbetreuung: Politik beginnt beim Betrachten der Realität.“