Industrieverband: Digitale Verwaltung noch nicht da, wo sie sein sollte
Die Sondierungsgespräche der Parteien laufen in Berlin auf Hochtouren. Obwohl noch gar nicht feststeht, wer die neue Regierung bilden wird, gibt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ihr bereits jetzt Hausaufgaben auf. Hausaufgaben, die die Kommunen aufhorchen lassen müssen. Denn es geht um eines der Meta-Themen der Gegenwart und der Zukunft: um die Digitalisierung. So gibt der BDI mit einem Positionspapier, das den Namen "Modernisierungsagenda" trägt, der künftigen Regierungskoalition ein Maßnahmenpaket mit auf den Weg, das die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben soll. Denn diese ist nach Lesart des BDI noch längst nicht so weit fortgeschritten, wie sie es sein sollte.
BDI: Pandemie hat Dringlichkeit offengelegt, mit Digitalisierung rascher voranzukommen
„Die neue Bundesregierung muss die öffentliche Verwaltung mit Hochdruck modernisieren. Trotz engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist der Stand der Digitalisierung für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger immer noch ungenügend. Die Corona-Pandemie hat überdeutlich die Dringlichkeit offengelegt, mit der Digitalisierung der Verwaltung viel rascher als bisher voranzukommen", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Montag.
Industrie will eigenes Bundesministerium für Digitalisierung
Der stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl dürfte sich angesichts einer der Hauptforderungen des Papiers bestätigt fühlen. Der Verband fordert darin nämlich ein Bundesministerium, das für die Digitalisierung zuständig ist. Bekanntlich gibt es in Baden-Württemberg bereits ein solches Ministerium, auch wenn es sich nicht exklusiv digitalen Angelegenheiten widmet, sondern Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen heißt. Das neue Bundesministerium soll nach Wunsch des Industrieverbands die Digitalisierung und andere Querschnittsthemen zentral politisch steuern.
Russwurm: Wirtschaft ist auf nutzerfreundliche digitale Verwaltung angewiesen
"Die Digitalisierung der öffentlichen Hand erfordert eine starke zentrale Koordinationsstelle auf Bundesebene. Ein entscheidender Hebel für eine moderne Verwaltung kann die Einrichtung eines Bundesministeriums für die Digitalisierung von Verwaltung und Recht sowie für digitale Infrastruktur sein. Das Ministerium muss dann aber auch mit umfangreicher Koordinierungskompetenz ausgestattet sein", sagte Russwurm. Der BDI macht Druck, weil er den modernen Staats als "unverzichtbare Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit" und als "entscheidenden Standortfaktor" betrachtet. "Die Wirtschaft ist auf eine nutzerfreundliche, agile und digitale Verwaltung angewiesen", so der BDI-Präsident.
Wissenschaft: Moderne Verwaltung ist Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit und Demokratie
Eine weitere zentrale Forderung des Wirtschaftsverbands: Ein gemeinsamer Standard müsse den "Flickenteppich von Verwaltungsdienstleistungen" ersetzen. "Ziel muss sein, dass Ämter auf allen föderalen Ebenen sowie Verwaltungseinheiten mit Unternehmen reibungsloser zusammenarbeiten", sagte Russwurm. Nicht nur der BDI macht dieser Tage Druck in Sachen Digitalisierung der Verwaltung. In einem weiteren Positionspapier haben verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler acht "Handungsfelder" für die nächste Bundesregierung identifiziert. Eine moderne Verwaltung sehen sie als Voraussetzung für Deutschlands Zukunftsfähigkeit und Demokratie.
Wissenschaftler: Verwaltung braucht neues Selbstverständnis
Unter dem Punkt "Verwaltungsprozesse für eine digitale Welt designen" heißt es: "Verwaltungshandeln muss - analog wie digital - zugleich bürger:innen-orientiert, regelkonform, rechtssicher, effizient und zukunftsgerichtet sein." Digitale Vernetzung spiele dabei eine herausragende Rolle. Anke Hassel, eine der Mitautorinnen und Professor of Public Policy an der Hertie School of Governance, fasst zusammen: "Unsere Verwaltung muss schneller und innovativer werden. Sie braucht ein neues Selbstverständnis, neue Formen des Managements, der Führung und der Personalpolitik."
BDI-Forderung nach einheitlichem Standard bereits in Ansätzen erfüllt
Bestrebungen in die Richtung eines einheitlichen Standards gibt es allerdings schon heute. So wies das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Kommunen im September darauf hin, dass sich Bund und Länder im vergangenen Jahr auf die Entwicklung von Verwaltungsdienstleistungen nach dem Prinzip "Einer für Alle" verständigt hätten. Demnach bietet ein Bundesland allen anderen Ländern eine eine Verwaltungsdienstleistung zur Nach- und Mitnutzung an. Die Kosten für länderübergreifende Digitalisierungsprojekte trägt der Bund bis Ende 2022 - bis dahin soll das Onlinezugangsgesetz (OZG) umgesetzt worden sein.
Service-BW immer beliebter: Mehr als 600.000 Bürger haben Nutzerkonto
In Baden-Württemberg sieht man sich auf einem guten Weg hin zur Umsetzung des OZG. "Aktuell stehen in Baden-Württemberg mehr als 200 Online-Anträge auf der landeseigenen E-Government-Plattform www.service-bw.de zur Verfügung. Selbst umfangreiche Anträge wie die Beantragung einer Baugenehmigung oder der Grundsicherung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt können vielerorts bereits elektronisch erfolgen", berichtete das Ministerium im September. Mehr als 600.000 Bürger hätten bislang ein Servicekonto eingerichtet und können digitale Anträge bei den Behörden stellen. Die Anzahl der Anträge steigt laut Auskunft des Ministeriums kontinuierlich.