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Filderstadt sucht neue Wege des naturschutzrechtlichen Ausgleichs

Der Klimaschutz spielt in den Kommunen eine immer größere Rolle. Wer Flächen verbraucht, muss schon heute im Rahmen der Eingriffsregelung einen Ausgleich schaffen, der der Natur zugute kommt. Im Rahmen eines vom Bund geförderten Modellprojekts will man herausfinden, wie diese Ausgleichshandlungen kreativ gestaltet werden können. Filderstadt ist mit von der Partie.

Hoher Wachstumsdruck, wenig Flächen, dazu die Notwendigkeit, das Klima zu schützen - viele Kommunen sehen sich heute diesen Herausforderungen ausgesetzt. Filderstadt ist so eine Kommune. Seit 2018 beteiligt sich die Stadt deshalb an einem auf fünf Jahre angelegten Projekt, dessen Ziel in der Entwicklung neuer stadtregionaler Strategien besteht. Konkret geht es darum, den naturschutzrechtlichen Ausgleich so zu gestalten, dass er kein reiner "Reparaturbetrieb" mehr ist, sondern einen effektiveren Beitrag zum Naturschutz leistet.

Eingriffsregelung soll vorsorgendes Instrument der Stadt- und Regionalplanung werden

Die Devise lautet: Weg von der Eingriffsregelung als nachsorgendes Instrument des Naturschutzes, hin zu einem vorsorgenden Instrument. Eines der Stadt- und Regionalplanung einerseits, des Natur- und Bodenschutzes andererseits. Dadurch sollen Artenschutzmaßnahmen effektiver gestaltet werden. Während die Eingriffsregelung derzeit kommunal punktuell eingesetzt wird, soll sie im Rahmen des Projekts landschaftsbezogen erfolgen und in eine Stadt-Umland-Strategie eingebettet werden.

Eingriffsregelung schreibt Kommunen vor, dass sie einen Ausgleich schaffen müssen

Hintergrund: Die Eingriffsregelung verpflichtet den Verursacher eines Eingriffs, Natur und Landschaft nicht zu beeinträchtigen. Ist eine Beeinträchtigung dennoch nicht zu vermeiden - wenn zum Beispiel ein Baugebiet neu ausgewiesen wird - muss er diese Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landespflege ausgleichen.

Projekt "Ramona" weitet Blick über kommunale Gemarkungsgrenzen hinaus

Der Projektnamen "Ramona" leitet sich vom Ziel ab, regionale Ausgleichsstrategien zu entwickeln, die als Motor einer nachhaltigen Landnutzung fungieren. Ganz bewusst nehmen die Projektbeteiligten die gesamte Region in den Blick und versteifen sich nicht auf kommunale Gemarkungsgrenzen wie jene Filderstadts. Den Ausgleichsprozess wollen die Projektbeteiligten

  • flächenbezogen und prozessorientiert erfassen und abbilden. Zudem sollen sie Indikatoren identifizieren, über die die Prozesse erfasst und bewertet werden.
  • derzeitige und zukünftige Ausgleichsbedarfe sowie stadtregionale Ausgleichsräume und -potentiale in Szenarien erfassen und im Sinne nachhaltiger, bodenschützender Strategien zu verknüpfen. Dabei will man auch der Frage nachgehen, welcher Bedarf an Agrarflächen zukünftig zur regionalen Versorgung der Bevölkerung besteht und
  • zwischen den Ausgleichsprozessen der Eingriffsregelung und weiteren Kompensationspraktiken, insbesondere des besonderen und strengen Artenschutzes, zu differenzieren und spezifische Planungsansätze zu entwickeln.

Filderstadt: Hoher natur- und artenschutzrechtlicher Kompensationsbedarf

Die Große Kreisstadt Filderstadt hatte sich für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt auch deshalb beworben, weil die Filderböden sehr ertragreich sind. Aber nicht allein: Mit im Boot sind die Landeshauptstadt Stuttgart, die Universitäten Aachen und Hohenheim, der Naturschutzbund Stuttgart und der Verband Region Stuttgart. Aus der Kombination dieser Faktoren: Besonders ertragreiche Böden, hoher Wachstumsdruck (zwischen 2011 und 2016 ist die Stadt um drei Prozent gewachsen) und der die Stadt umgebenden überregional bedeutenden Infrastrastruktur (Autobahn, Bundesstraßen, Flughafen) folgern die Projektbeteiligten, dass der naturschutz- und artenschutzrechtliche Kompensationsbedarf in Filderstadt besonders hoch ist.

Filderstadt hat bereits Erfahrung mit Kompensationsmaßnahmen gemacht

In Filderstadt hat man bereits zuvor positive Erfahrungen mit multifunktionaler Kompensation gemacht. So etwa durch das Projekt „Landschaftsraum Filder“ sowie mit produktionsintegrierten Maßnahmen im Rahmen des Rebhuhnschutzes. Die Beteiligung am Forschungsprojekt Ramona soll nicht zuletzt die Akzeptanz der Ausgleichsmaßnahmen durch die Landwirte steigern. So fördert die Stadt seit vielen Jahrzehnten ihre Streuobstwiesen und hat besonderes Interesse an einer möglichen Verknüpfung von deren Kompensation und Erhalt.

Ausgleichsmaßnahmen intern und extern

Die Stadt hat sich einen Experten ins Boot geholt, der das Projekt begleitet. Der Landschaftsökologe Andre Raichle, der ans Umweltschutzreferat angegliedert ist, hat zwei Aufgaben. Erstens soll er die Ausgleichsmaßnahmen bewerten, die in Filderstadt bislang bereits durchgeführt worden sind. So hatte man in der Vergangenheit unter anderem einen Bach (den Fleinsbach) renaturiert, um den Flächenverbrauch durch ein neues Baugebiet zu kompensieren. In anderen Fällen hatte man sogenannte externe Ausgleiche gefunden, also Naturschutzmaßnahmen außerhalb der eigenen Gemarkung ergriffen.

Neue Ansätze: Saatabstände oder Feldraine vergrößern

Das Projekt will jedoch nicht nur eine Bestandsaufnahme machen, sondern auch praktikable neue Wege aufzeigen. So war zu Projektbeginn die Idee im Gespräch, die Saatabstände auf den Äckern zu vergrößern, um Bodenbrütern und anderen Tieren einen Rückzugsbereich zu schaffen. Die Bauern, die durch die Maßnahmen weniger ernten würden, müsste man entschädigen. Eine zweite Idee hatte darin bestanden, die Feldraine zu vergrößern. Darunter versteht man den Randstreifen eines Feldes oder Ackers, und diese zu bepflanzen.

Erkenntnisse sollen in Handlungsleitfaden münden

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sollen in einem Handlungsleitfaden zusammengeführt und damit anderen Kommunen deutschlandweit zur Verfügung gestellt werden. Die Projektverantwortlichen haben festgestellt, dass viele Kommunen und Stadtregionen vor ähnlichen Problemen stehen wie Filderstadt und die Region Stuttgart. Sie gehen deshalb davon aus, dass die in Filderstadt erprobten Modelle und Methoden auch andernorts in die Praxis übernommen werden können. Das Konsortium führt seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Dialog mit Vertretern anderer deutscher Metropolregionen durch, um die Verwertbarkeit der Erkenntnisse zu verbessern.