Effektvolle Werbung: Die ganze Republik fragte sich, warum macht sich Reutlingen so schlecht?
© Stadt Reutlingen

„Wir lassen uns von Emotionen leiten“

Viele Kommunen suchen händeringend nach neuen Mitarbeitenden, doch die Konkurrenz um Fachkräfte ist groß. Um sich abzuheben, gingen die Städte Gaggenau und Reutlingen mit außergewöhnlichen Kampagnen neue Wege und trafen damit einen Nerv. Der Werbepsychologe Arnd Engeln von der Hochschule der Medien in Stuttgart erklärt, warum sie so erfolgreich waren und gibt Tipps, wie Kommunen sich gut vermarkten können.

die:gemeinde: Ein satirischer Imagefilm der Stadt Gaggenau sorgte kürzlich für Aufsehen. Auch das Self-Bashing von Reutlingen im vergangenen Jahr stieß auf enorme Resonanz. Warum war diese Art der Werbung so erfolgreich?

Arnd Engeln: Aufmerksamkeit entsteht immer dann, wenn etwas Unerwartetes passiert. Genau diesen Effekt nutzt Werbung gezielt, um Menschen zum Hinschauen zu bewegen. Diese Kampagnen haben das mit Humor und Selbstironie geschafft. Gerade Humor kann, wenn er funktioniert, sehr wirksam sein, weil er das emotionale System anspricht, das oft dominanter ist als rationale Überlegungen.

Es geht also nicht unbedingt darum, Fakten zu vermitteln?

Werbepsychologe Arnd Engeln
Arnd Engeln ist Professor für Markt- und
Werbeforschung an der Hochschule der
Medien, Stuttgart

Natürlich kann Werbung auch mit Fakten arbeiten, doch in den letzten Jahrzehnten hat sie zunehmend auf Emotionen gesetzt. Mehrheitlich lassen wir uns von Gefühlen leiten. Es gibt neben der Aufmerksamkeit erzeugenden Variante auch eine zweite Art von Werbung. Sie bleibt im Hintergrund, wie Bandenwerbung im Stadion, die wir kaum bewusst wahrnehmen. Dennoch verarbeitet unser automatisiertes System diese Eindrücke und sie beeinflussen unsere Entscheidungen. Wir glauben oft, bewusst zu entscheiden, doch unser Bewusstsein verarbeitet nur einen kleinen Teil der Informationen, während das automatisierte System vieles parallel aufnimmt. Es reicht daher, wenn wir ein Produkt gleichzeitig mit etwas Attraktivem sehen – schon assoziieren wir es damit. Unser Gehirn denkt assoziativ: Wenn ich auf den Tisch klopfe und gleichzeitig zerspringt eine Fensterscheibe, denkt jeder, ich hätte sie zerbrochen. Werbung funktioniert genauso: Marken werden mit positiven Reizen verknüpft.

Der Recruitingfilm von Gaggenau beispielsweise macht also mit Humor auf sich aufmerksam und vermittelt damit subtil noch mehr?

Der Film greift auf, dass viele Menschen keine besonders positive Einstellung zur öffentlichen Verwaltung haben. Die Kampagne versucht, genau das zu ändern, indem sie Aufmerksamkeit erregt und Verwaltung mit Humor, Leichtigkeit und Spaß verknüpft – und so eine neue, positive Assoziation schafft. Wenn Menschen bereits eine feste Meinung haben, wird sie eine Kampagne nicht umstimmen. Aber viele Menschen haben vielleicht nie bewusst darüber nachgedacht, ob die Verwaltung ein attraktiver Arbeitgeber ist. Genau bei denen kann man etwas bewegen.

Nicht bei allen kommt jedoch die Selbstironie der Kampagnen gut an. So etwas kann auch nach hinten losgehen, oder?

Natürlich kann es sein, dass manche die Kampagnen als unseriös empfinden und das Gegenteil bewirken. Aber die entscheidende Frage ist: Gehören diese Menschen überhaupt zur Zielgruppe? Oder muss ich nicht eher die 16- bis 25-Jährigen ansprechen, die gerade auf Berufssuche sind und sich überlegen, wo sie arbeiten wollen? Besonders für sie spielt im digitalen Zeitalter Social Media eine große Rolle. Früher musste man teure Werbeminuten im Fernsehen buchen, heute kann ein guter Gag viral gehen und sich von selbst verbreiten. Gerade junge Menschen teilen humorvolle Inhalte gerne in sozialen Netzwerken, was die Reichweite enorm erhöht. Ein guter Witz wird nicht nur wahrgenommen, sondern auch aktiv weitergeleitet – ein riesiger Vorteil für moderne Kampagnen.

Kann ein solcher Zugang nur mit Humor gelingen oder lässt sich dieser Effekt auch anders erreichen?

Positive Gefühle können zum Beispiel auch Vertrautheit oder Sicherheit sein. Die sind ebenso attraktiv. Gerade im öffentlichen Dienst lässt sich sicher mit Aspekten wie Sicherheit durchaus gut werben und sich als Arbeitgeber positiv präsentieren.

Es ist aber schon wichtig, dass man sich auch authentisch präsentiert?

Es muss in irgendeiner Weise passen, klar. Die Botschaft muss man einem schon auch abnehmen können. Natürlich ist Werbung gerne überzeichnet – jeder weiß, dass Meister Proper nicht so sauber macht, wie es in der Werbung aussieht. Aber wenn die Botschaft völlig unglaubwürdig ist, kann es problematisch werden.

Wenn solche Spots so gut funktionieren, kann die Werbebranche in Baden-Württemberg das auch gut bedienen, gerade für den öffentlichen Sektor? 

Ich kenne mich in erster Linie mit Werbepsychologie aus, weniger mit Marketingstrategien. Aber was ich bei den Studierenden beobachte, ist, dass sie genau solche Spots wie den Gaggenau-Film drehen wollen. Natürlich wissen sie, dass Werbung oft aufdringlich sein kann, weil so viele um Aufmerksamkeit kämpfen. Humor ist dabei eine Möglichkeit, sich abzuheben. Viele Werbekampagnen wirken unterschwellig, aber Studierende interessieren sich besonders für auffällige, kreative Spots, die sich viral verbreiten können. Das macht natürlich Spaß.

Lesen Sie hier wie Gaggenau und Reutlingen mit Kampagnen erfolgreich Personal gewinnen konnten.