Hilfstransport der Städtepartnerschaft wegen Ukraine-Krieg

Ukraine-Krieg: Städte bleiben starke Partner

Sie sind gelebter kultureller Austausch und Ausdruck der Verwirklichung des europäischen Gedankens. Wie zwei Städtepartnerschaften zwischen Baden-Württemberg und der Ukraine zeigen, stehen die Kommunen ihren Partnern auch in Kriegszeiten bei.

Vor dem Ukraine-Krieg unterhielten die Städte Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Ostfildern eine lebendige Partnerschaft mit der zentralukrainischen Stadt Poltawa, die seit 1988 besteht. Zu den jährlich durchgeführten Aktivitäten gehörten der Austausch offizieller Delegationen der Partnerstädte, Schüleraustausche und Hospitationen von Lehrerinnen und Lehrern. Wirtschaftsexpertinnen und -experten hielten in der 300.000-Einwohner-zählenden Partnerstadt Vorträge. Es gab ein medizinisches Austauschprogramm und ein Umweltschutzprogramm. Auf dem Stundenplan des Immanuel-Kant-Gymnasiums steht seit 1989 Russisch als dritte Fremdsprache zur Auswahl. 

Kinder und Erzieher aus Poltawa vor dem Ukraine-Krieg - Auch hier haben die Städtepartnerschaften großes geleistet
Das Foto zeigt 20 Kinder und vier Betreuerinnen, die auf Einladung der drei Städte Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Ostfildern, unter Federführung von Leinfelden-Echterdingen, vom 23.07.-06.08.2016 zur Erholung auf die Fildern gekommen sind.
Die Kinder waren sogenannte „kriegstraumatisierte Kinder“, die zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern aus Donezk und Luhansk nach Poltawa geflohen waren. Die Verwaltungsspitze in Poltawa hatte darum gebeten, diesen besonders betroffenen Kindern ein paar schöne Tage mit gutem Essen und einem schönen Kinderprogramm zu schenken.
Schon 2016 hatte die Stadt Poltawa etwa 10.000 Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine aufgenommen. In der Mitte des Bildes steht Roland Klenk, Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen.

Verändert hat sich der Charakter der Partnerschaft bereits vor dem Kriegsausbruch, sagt Alena Trenina vom Leinfelden-Echterdinger Kulturamt. „Schon die Corona-Pandemie hat durch das Reiseverbot die Austausche unmöglich gemacht. Es gab in der Zeit nur unregelmäßige Online-Treffs, die aber nicht zufriedenstellend waren“, sagt Trenina. Die Vorfreude auf die post-pandemische Zeit sei groß gewesen. 

Ukraine-Krieg macht neue Pläne der Städtepartner nötig

Doch dann kam alles anders. Aufgrund des Angriffs der russischen Förderation auf die Ukraine mussten alle geplanten Aktionen abgesagt werden. Stattdessen starteten die Filder-Kommunen Hilfsaktionen. „Die drei Städte haben die eigene Bevölkerung dazu aufgerufen, Geld für Poltawa zu spenden. Es sind mehr als 260.000 Euro gespendet worden. Mit der Führung von Poltawa wurde die Frage diskutiert, wie man der Bevölkerung am besten helfen kann“, erklärt Trenina. So habe es Befürchtungen gegeben, wonach es die Hilfstransporte nicht bis in die 2.300 Kilometer entfernte Großstadt schaffen würden. 

Geldspenden statt Hilfstransporten

Zunächst wurden deshalb keine Transporte von Hilfsgütern verschickt. Stattdessen einigte man sich auf Geldspenden, um vor Ort Lebensmittel und Hygieneartikel zu kaufen. Denn obwohl Poltawa selbst von russischen Bombardements verschont geblieben ist (Stand Juli 2022), sind mehr als 4.000 Binnenflüchtlinge aus dem Osten des Landes angekommen. Sie werden in Schulen, Kindergärten und Sporthallen versorgt. Wie der Krieg weiter verlaufen wird, weiß niemand. Aber für die Stadt Leinfelden-Echterdingen steht eins fest: „Unsere Partnerstadt wird rechtzeitig auf Änderungen der Situation reagieren und weitere Hilfen anfordern“, sagt Alena Trenina.

Ukraine-Krieg sorgt für neue Städtepartnerschaft

Eine ganz neue Städtepartnerschaft entstand sogar aus Anlass des Ukraine-Kriegs. Die Partnerstädte Ilvesheim und Checy übernahmen als Zeichen ihrer Solidarität gemeinsam eine Patenschaft für die Stadt Broschniv-Ossadsa, die sobald als ein Treffen möglich ist, in eine Städtepartnerschaft umgewandelt werden soll. In der Zwischenzeit haben die Partnerstädte bereits einen LKW mit wichtigen Gütern für die humanitäre Hilfe in ihre Patenstadt geschickt, der am 1. Juni dort eintraf.

Singens Städtepartnerschaft mit Kobeljaky

Auch die Stadt Singen unterhält eine Partnerschaft mit einer ukrainischen Stadt. Das 10.000-Einwohner-zählende Kobeljaky liegt im Oblast Poltawa – mit „Oblast“ bezeichnet man einen größeren Verwaltungsbezirk – 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Kiew. Am 22. Mai 1993 wurde der Vertrag unterzeichnet. Warum gerade Kobeljaky? „Grundlage waren die Nachforschungen von Singens Ehrenbürger und Heimathistoriker Wilhelm J. Waibel, der sich seit Jahrzehnten mit Studien über Zwangsarbeiter beschäftigt, die während des Zweiten Weltkrieges in den Singener Großbetrieben arbeiten mussten. Es zeigte sich, dass ein Großteil von ihnen aus dem Gebiet Poltawa in der damals zur UdSSR gehörenden Ukraine stammten“, erklärt Stefan Mohr, persönlicher Referent von Oberbürgermeister Bernd Häusler, gegenüber die:gemeinde. 

Helfer verladen Hilfsgüter für Kobeljaky
Helfer verladen Hilfsgüter für Kobeljaky

Häusler stehe seit Kriegsbeginn mit dem Bürgermeister Kobeljakys, Alexander Kopelets, und anderen Personen in Kontakt. „Alexander Kopelets bat um einen Transport mit medizinischen Hilfsgütern. Tatsächlich konnte am 19. März nach intensiver Vorbereitung ein LKW mit medizinischem Equipment wie Infusionsgeräten, zahlreichen Medikamenten sowie hochwertiger Feuerwehrausrüstung im Gesamtwert von mehreren zehntausend Euro auf den Weg nach Kobeljaky gebracht werden – auch Schmerzmittel, Blutdrucksenker sowie Medikamente für die Behandlung akuter Verletzungen und zur Versorgung chronisch kranker Menschen wurden hocherfreut in Kobeljaki in Empfang genommen“, sagt Stefan Mohr. Ein weiterer Hilfstransport sei aktuell in Planung. 

Städtepartnerschaft zwischen Singen und Kobeljaky im Ukraine-Krieg
Sie setzen sich für eine lebendige Städtepartnerschaft mit Kobeljaki ein (von links): Alexandra Wolf, Stadt Singen, Valery Korobejnik (Arzt), Ludmilla Maidabyk (Kobeljaki), Volodymir Kosorod, Markus Demmer (Stadt Singen), Zhanna Shevtsova (Mitarbeiterin der Landrätin), OB Bernd Häusler, Tamila Schewtschenko (Landrätin Kobeljaki), Vasil Hordiiko (Rotary Club Kobeljaki), Ehrenbürger Wilhelm Josef Waibel, Oleg Reshetilo (Journalist), Carmen Scheide (Partnerschaftsbeauftragte) und Viktor Popruga (Feuerwehr/Rotary Club).

Es ist nicht unüblich, dass eine Städtepartnerschaft so zustande kommt wie im Falle Singens und Kobeljakys. Städtepartnerschaften hätten häufig eine Genese, sagt Lidija Schwarz-Dalmatin, Referentin für Personal, Europa und Organisation beim Gemeindetag Baden-Württemberg. „Eher selten ist es so, dass sich Kommunen bewusst Partnerstädte aussuchen. Stattdessen beginnt es häufig mit Initiativen im zivilgesellschaftlichen Bereich.“ Zum Beispiel durch Bürger, die gute Beziehungen mit Menschen in bestimmten Ländern hatten, oder durch Schüleraustausche. Irgendwann entdeckten die Gemeinden den Mehrwert dieser Kooperationen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Zusammenwachsens der europäischen Staaten. „Vielerorts entstand dann der Wunsch, das Aufgebaute zu verstetigen und das Engagement wurde auf eine offizielle Ebene gehoben“, erklärt Schwarz-Dalmatin. Doch es gebe auch Gemeinden, die aktiv auf den Gemeindetag zugekommen seien und sich danach erkundigten, wie sie Städtepartnerschaften etablieren könnten. Die Hintergründe für die Anfragen seien auch hier unterschiedlich. Ein möglicher Anlass für eine Initiative könnte der Umstand sein, dass sich in einer Kommune viele Gastarbeiter aus einem bestimmten Land niedergelassen haben. 

Auch so können Städtepartnerschaften zustande kommen

Einen eher untypischen, aber gerade deshalb besonders interessanten Weg beschritt der deutsche Konsul in Málaga, Arnulf Braun, im März dieses Jahres, als er einen Brief an den Gemeindetag Baden-Württemberg schrieb. Darin ging es um die sogenannten Nuevas poblaciones („Neue Gemeinden“) in der spanischen Provinz Jaén. Vor 250 Jahren waren Deutsche, überwiegend aus Süddeutschland, in das spanische Mittelgebirge eingewandert, um das Land zu roden und Weinreben, Maulbeerbäume und Olivenbäume zu pflanzen. Trachten, Mahlzeiten und Baustil zeugen noch heute von diesen Wurzeln. Und das Interesse der Spanier an Partnerschaften mit deutschen Gemeinden ist groß. Der Konsul bat den Gemeindetag deshalb, den Wunsch der Spanier an die Mitgliedsgemeinden heranzutragen. Es darf mit Spannung erwartet werden, was sich daraus ergibt. 

Auch Kommunalpolitiker profitieren von den Städtepartnerschaften

Die Fälle zeigen: den einen Weg zur Partnerschaft gibt es nicht. Die Einblicke, die die Beteiligten in die Welt der Partnerstadt erhalten, sind bereichernd, auf der zivilgesellschaftlichen Ebene, aber auch auf der Ebene der Verwaltung. „Für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ist der Einblick in die Arbeit einer Verwaltung im Ausland interessant“, sagt Schwarz-Dalmatin. Welche Herausforderungen gibt es für Kommunen in Frankreich, Großbritannien oder Ukraine? Die Rathauschefs können sich manches abschauen, was andernorts besser läuft, aber auch ihren Pendants im Ausland Tipps geben. Auch im Schulsystem sei es sinnvoll, zu vergleichen und Impulse zu erhalten, so die Referentin.

1.251 Städtepartnerschaften in Baden-Württemberg

Die Datenbank des Rats der Gemeinden und Regionen Europas enthält 1.251 Partnerschaften baden-württembergischer Kommunen. Die Einträge basieren auf freiwilligen Angaben, geben aber einen guten Eindruck. Die überwältigende Mehrheit (1.126) davon sind Partnerschaften mit europäischen Kommunen, 125 mit anderen Teilen der Welt. So ist das oberschwäbische Amtzell mit dem kenianischen Thika verbandelt. Biberach pflegt eine Freundschaft mit dem georgischen Telawi, und Bietigheim-Bissingen hat seine Fühler sowohl nach Argentinien (Tupungato) als auch nach Japan (Kusatsu) ausgestreckt. In Europa bestehen die mit Abstand meisten Partnerschaften mit französischen Städten. Die Versöhnung Deutschlands mit Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg gilt als Keimzelle des europäischen Projekts – die Partnerschaften waren und sind gelebter Ausdruck dieses Gedankens.