Ukraine-Krieg: Es fehlt an Unterkünften für Ukraine-Flüchtlinge
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Ukraine-Geflüchtete: Besonders der Wohnraum fehlt

In den Städten und Gemeinden kommen mehr Geflüchtete an als selbst 2015. Vielerorts finden die Kommunen keinen Wohnraum zur Unterbringung der Ankömmlinge mehr. Erste Hilfsprogramme laufen an, doch die Kommunen fordern mehr: Es brauche dringend Flexibilisierungen und den Abbau von Standards, um die Situation vor Ort im Griff zu halten.

Die Zahl der Geflüchteten, die täglich in Baden-Württemberg ankommt, hat sich durch den Ukraine-Krieg über die letzten Monate enorm erhöht. In der zweiten Jahreshälfte hat sich der Zustrom noch verstärkt. Und die Erfahrung der letzten Jahre lässt vermuten: Im Herbst werden noch einmal mehr Geflüchtete kommen. Besonders im Bereich der Unterbringung kommt es daher bereits heute zu Engpässen in vielen Städten und Gemeinden. Die Kommunen suchen mit allen Kräften nach Unterbringungsmöglichkeiten. Die Belastung für die Verwaltungen ist hoch. Besonders die vorgeschriebene Anschlussunterbringung nach sechs Monaten bereitet - ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn - große Sorgen. Auch die Reaktivierung weiterer Notunterkünfte ist im Gespräch. Turnhallen, Hotels und Container werden zur Übergangslösung in der Wohnraumnot. 

Städte und Gemeinden stoßen an Wohnraumgrenzen

Auf Anfrage des SWR haben einige Kommunen die Situation vor Ort geschildert. So leben in Friedrichshafen derzeit 800 Geflüchtete aus der Ukraine. 400 von ihnen in privater Unterbringung. Doch die Kapazitäten stoßen an ihre Grenzen. Deshalb sucht die Stadt verstärkt nach Bürgerinnen und Bürgern, die Wohnraum zu vermieten haben. Auch Pfullendorf meldet, laut SWR, dass die Kapazitäten vor Ort zur Neige gehen. Die Stadt plant daher im Herbst Wohncontainer für Neuankömmlinge aufzustellen. Singen habe mit der Kreissporthalle schon in der letzten Woche eine Notunterkunft reaktiviert. 

Mehr Geflüchtete untergebracht als 2015

In diesem Jahr sind bereits rund 130.000 Menschen nach Baden-Württemberg geflüchtet, davon 115.000 ukrainische Geflüchtete und 15.000 Asylsuchende. Das sind deutlich mehr als im Jahr 2015. Allein bei den Asylsuchenden war es bereits im ersten Halbjahr der höchste Halbjahreszugang seit 2016. Bei den Zugangszahlen sind derzeit von Woche zu Woche deutliche Zuwächse zu verzeichnen. Die Aufnahmekapazitäten des Landes wurden seit Frühjahr 2022 bereits nahezu verdoppelt. Aktuell werden weitere rund 1.000 Unterbringungsplätze durch Containerhäuser in der Landeserstaufnahmestelle Freiburg (insgesamt 160 Plätze) und die Inbetriebnahme einer Notunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt in Freiburg (bis zu 800 Plätze) geschaffen. Auch die Unterbringungskapazitäten der Stadt- und Landkreise für die vorläufige Unterbringung, die aus Landesmitteln finanziert werden, wurden allein seit dem letzten Jahr in etwa verdoppelt. Darüber hinaus wird ein Landes-Förderprogramm im Umfang von 80 Millionen aufgesetzt, das die Städte und Gemeinden im Land bei der Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete unterstützt.

Videokonferenz zur aktuellen Migrationslage

Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges und Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek haben sich in einer Videokonferenz mit den Verantwortungsträgern aller Ebenen im Land zur Migrationslage ausgetauscht. An dem Termin nahmen über 650 Personen teil, darunter Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalen Landesverbände, Regierungspräsidien, Landkreise und Kommunen. „Es ist eine große humanitäre Aufgabe, die wir in den zurückliegenden Monaten bewältigt haben, und eine herausragende Gemeinschaftsleistung, dass 130.000 Menschen allein in diesem Jahr in Baden- Württemberg Schutz und Zuflucht finden konnten", sagt Ministerin Marion Gentges. „Die aktuelle Situation erfordert aber auch eine klare Einschätzung: Die Lage ist ausgesprochen ernst. Angesichts jüngster Flüchtlingszahlen müssen wir davon ausgehen, dass eine Herkulesaufgabe auf uns zukommt. Sie zu bewältigen setzt einen Kraftakt auf allen Ebenen voraus. Dabei müssen wir uns auch wieder auf den kurzfristigen Aufbau von Notunterkünften einstellen. In der jetzigen Situation erwarte ich, dass der Bund nicht nur Zusagen macht, sondern auch finanziell und organisatorisch Verantwortung übernimmt.“

Jäger: "Belastungsgrenze ist erreicht"

„Die Kommunen sind seit Jahren im Dauerkrisenmodus", mahnt Gemeindetagspräsident Steffen Jäger. „Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht. Ohne Flexibilisierung bei den rechtlichen Rahmensetzungen, ohne einen spürbaren Abbau von Standards und ohne eine konsequente Aufgabenkritik wird es zu einer Überlastung der kommunalen Ebene und der dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen. Es braucht in Zeiten einer multiplen Krise eine gesamtstaatliche Besinnung auf das Wesentliche. Die Städte und Gemeinden sind festen Willens, die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen, sie brauchen dafür jedoch den passenden rechtlichen Rahmen und die personellen und finanziellen Ressourcen.“