Stadtentwicklung: So holt sich Daisendorf den Gestaltungsspielraum
Daisendorf ist eine malerische Gemeinde in der Bodenseeregion. Von fast jedem Punkt in der flächenkleinsten Gemeinde im Landkreis hat man Seeblick. Deshalb ist die Gegend auch sehr beliebt, bereits dicht besiedelt und der Druck auf den noch verfügbaren Flächen hoch. Viele Interessenten und wenig freier Wohnraum. Wer hat da die Möglichkeit noch zuzuziehen? Zum einen suchen viele Menschen in Daisendorf nach einem Zweitwohnsitz für Wochenenden und Urlaube. Doch auch junge Familien würden hier gerne leben. Doch diese können bei den aufgerufenen Preisen häufig nicht mehr mitgehen.
Bürgermeisterin Alberti: Kaum Werkzeuge, die es ermöglichen bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen
Und auch die Gemeinde selbst hat wenig Möglichkeiten, Grundstücke anzukaufen. „Die privaten Eigentümerinnen und Eigentümer rufen sehr hohe Preise von über 1.000 Euro pro Quadratmeter auf, die die Gemeinde nicht zahlen kann“, bestätigt auch Bürgermeisterin Jacqueline Alberti. „Die Kosten für den Kauf müssten wir weitergeben und damit helfen wir Menschen mit geringeren Einkommen wiederum nicht weiter. Deshalb hilft uns das Vorkaufsrecht hier auch nicht weiter.“ Auch die Zweitwohnsitzsteuer schrecke die Interessenten hier in der Gemeinde nicht ab. „Die tut Menschen mit hohen Einkommen nicht weh“, sagt die Bürgermeisterin. „So haben wir kaum Werkzeuge, die es uns ermöglichen, Wohnraum für Menschen mit geringeren Einkommen verfügbar zu machen.“
Bebauungsplan über bebautem Gebiet begrenzt die Höhenentwicklung
Dann kam ein zweites Problem hinzu: 2018 kippte das Regierungspräsidium Tübingen den Bebauungsplan „Wohrenberg“ aus den 70er-Jahren. Dieser machte unter anderem Vorgaben bezüglich der Höhenentwicklung der Gebäude. Schnell kamen private Investorinnen und Investoren mit Bauplänen für Gebäude, die der Bebauungsplan zuvor verhindert hatte. „Es ging um Pläne für Gebäude, die dazu geführt hätten, dass die dahinterliegenden Gebäude ihren Seeblick verlieren“, so Alberti. Um das zu verhindern, erließ die Gemeinde eine Veränderungssperre und beschloss die Aufstellung des ersten Bebauungsplans über bebautem Gebiet in einer Größenordnung von 5,7 Hektar Fläche. Wesentlicher Bestandteil des neuen Bebauungsplans ist die Begrenzung der Höhenentwicklung. Der maximale Grad der Versiegelung wurde festgelegt und die Zahl der zulässigen Wohneinheiten von zwei auf drei erhöht.
Altes Hofgut schafft Raum für 28 Wohneinheiten
Ähnlich ging die Gemeinde vor, als noch im gleichen Jahr ein Erbfall ein altes Hofgut von 3.000 Quadratmetern Fläche verfügbar machte. „Auch bei dem Hofgut war das Interesse von Investoren hoch“, erinnert sich Jacqueline Alberti. „Auch hier haben wir eine Veränderungssperre erlassen und einen Bebauungsplan beschlossen.“ Die Gemeinde hat definiert, was nun auf dem Gelände entstehen soll: Zwei Gebäude mit insgesamt neun Wohneinheiten und zwei Gebäude für betreutes Wohnen mit 19 Wohneinheiten. Die Baugenehmigung ist in der Zwischenzeit erteilt und die Gemeinde hofft, dass der Bau bald beginnen wird.
Neuer Bebauungsplan umfasst ein Sechstel des Gemeindegebiets
Durch die beiden Vorgänge hat man sich in Daisendorf ganz generell gefragt, wie man sich als Gemeinde die Bauleitplanung zukünftig vorstellt. Man sah sich an, wo in naher Zukunft Verkäufe wahrscheinlich sein würden und welche Bereiche besonders schützenswert sind, um den Charakter der Gemeinde zu erhalten. „So ist dann der Geltungsbereich entstanden, für den wir aktuell den Bebauungsplan ‚Alter Ortskern‘ aufstellen“, so Alberti. „Einen städtebaulichen Entwurf haben wir bereits unter Bürgerbeteiligung und gemeinsam mit einer externen Planerin und einem externen Planer erarbeitet.“ Ziel war es auch hier, den gewachsenen Charakters des Quartiers zu erhalten, Nachverdichtungspotenziale zu prüfen und einen bau- und planungsrechtlichen Rahmen zu schaffen. Es geht um eine Fläche von 8,1 Hektar und damit etwa ein Sechstel des Gemeindegebiets. Zur Erstellung des Entwurfs hat die Gemeinde Fördermittel aus dem Förderprogramm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ beantragt und Ende 2022 auch erhalten. „Wir haben uns gefreut, dass wir in die Förderung aufgenommen wurden“, sagt die Bürgermeisterin. „Das ist für uns eine immense Entlastung, war jedoch nicht der Auslöser, diesen Weg zu gehen.“
Zusammenarbeit mit Stadt- und Umweltplanern
Für das geförderte Projekt arbeitet die Gemeinde wieder mit dem gleichen den gleichen Stadt- und Umweltplanern zusammen wie schon bei den beiden vorherigen Bebauungsplänen. Zunächst musste der Bestand erhoben werden. „Das ist gewöhnlich ein riesiger Aufwand und kann große Kosten produzieren“, sagt Alberti. „Das Ingenieurbüro konnte für die Arbeit aber eine Drohne nutzen und so ging es in einem Tag. Sie haben außerdem einen 3D-Plan mit verschiedenen Gebäudeeinheiten erstellt, der bei der Vorstellung der neuen Planung sehr hilfreich war.
Neuer Bebauungsplan unter Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger
Denn der neue Bebauungsplan wird mit den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam erarbeitet. Für einen zweitägigen Bürgerworkshop arbeitete im März 2023 die Gemeinde mit Janine Bliestle vom Gemeindenetzwerk Bürgerschaftliches Engagement zusammen. Für Erwachsene fand am ersten Tag ein Dorfrundgang statt, bei dem über historische Bilder die Entwicklung des Ortskerns verdeutlicht wurde.
Kinder wurden gleichzeitig von Erzieherinnen und Erziehern betreut und sollten ihren Lieblingsort in der Gemeinde malen. Jugendlichen wurden drei Modelle des Dorfplatzes zur Verfügung gestellt, um zu zeigen, was sich dort verändern müsste, damit sie sich dort gerne aufhalten würden. Kinder und Jugendliche stellten ihre Ergebnisse nach dem Dorfspaziergang den Erwachsenen vor.
Am zweiten Tag gruppierten sich knapp 40 Interessierte um vier Tische, an denen vordefinierte Themen diskutiert wurden:
- Freiraum/Verkehr – Vorfahrt dem attraktiven Aufenthaltsbereich
- Identität – Lebst du schon oder wohnst du noch?
- Dörflicher Charakter – …kann auch flach – …ist immer spitz
- Architektur – Dicht aber Dorfverträglich
Das wünschen sich die Anwohnenden von der Stadtentwicklung
Sowohl die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte als auch die Bürgermeisterin und die externen Planerinnen und Planer waren auf dem Bürgerworkshop anwesend, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger an ihrer Gemeinde schätzen und sich für die Zukunft wünschen. Relativ einig war man sich bereits über den ein oder anderen Wunsch: Eine Entwicklung zum Schlafdorf soll vermieden werden. Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls sollen möglichst viele niederschwellige Begegnungsorte geschaffen und die Anordnung neuer Gebäude um kleinere Höfe angeregt werden. Öffentliche Räume sollen begrünt und möbliert werden. Nachverdichtung soll luft- und blickdurchlässige Freiräume übriglassen. Die Bedürfnisse des Autoverkehrs sollten dorfverträglich hintenangestellt werden. Die Entsiegelung des Dorfbaches wurde genauso diskutiert wie die Option, den eigenen Strom über erneuerbare Energie zu gewinnen.
"Investition in die Zukunft der Gemeinde"
Im November konnte nun der städtebauliche Entwurf vorgestellt werden, bei dem man versucht hat, die Ergebnisse des Bürgerworkshops so gut wie möglich aufzunehmen. Doch der Entwurf hat auch Kritikerinnen und Kritiker. „Es gibt zum Beispiel Bürgerinnen und Bürger, die befürchten, dass sie nicht mehr so bauen können, wie sie möchten oder die das Geld, das in den Entwurf geflossen ist, anderweitig besser eingesetzt fänden“, gibt die Bürgermeisterin zu bedenken. „In so einem Prozess treffen immer unterschiedliche Meinungen zur Entwicklung der Gemeinde aufeinander. Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass wir alle Meinungen anhören, ernst nehmen, aber nicht jeden einzelnen Wunsch umsetzen können. In der Vergangenheit hat das ganz gut funktioniert. Die Gemeinde muss jetzt als Vorbild vorangehen. Neugestaltung von Verkehrsräumen, stärkere Begrünung, Schaffung neuer Aufenthaltsbereiche – das wird personelle und finanzielle Ressourcen binden. Diese Bauleitplanung ist für uns ein finanzielles Mammutprojekt. Die meisten Bürgerinnen und Bürger sehen diesen Prozess als eine Investition in die Zukunft der Gemeinde.“
Weitere Stadtentwicklung bereits im Blick
Trotzdem hat die Gemeinde bereits zwei bis drei weitere Gebiete im Auge, die überplant werden sollen. „Aber wir wollen nichts übers Knie brechen“, sagt Jacqueline Alberti. „Erst wenn der Bebauungsplan ‚Alter Ortskern‘ fertig und rechtskräftig ist, packen wir neue Projekte an.“