© Adobe Stock

Reform mit Nebenwirkungen

Die Grundsteuerreform sorgt weiterhin für Gesprächsstoff in Baden-Württembergs Rathäusern. Rund 1,4 Millionen Einsprüche sind landesweit eingegangen, mancherorts drohen Einnahmeverluste. Wie ist derzeit die Stimmung in den Kommunen? die:gemeinde hat stichprobenartig nachgefragt – wie Städte und Gemeinden mit der Situation umgehen, was auf die Verwaltungen noch zukommen könnte und warum mancherorts bereits über eine Erhöhung der Hebesätze nachgedacht wird.

Die Grundsteuerreform sorgt weiterhin für Diskussionen in vielen Kommunen Baden-Württembergs. Ende Mai wurde bekannt, dass landesweit rund 1,4 Millionen Einsprüche gegen die neuen Grundsteuerbescheide eingereicht wurden.

Einsprüche gegen 30 Prozent aller Grundsteuerbescheide im Land

Das entspricht etwa 30 Prozent aller rund 4,8 Millionen Bescheide. Davon sind etwa 1,3 Millionen Masseneinsprüche, in denen Eigentümer vor allem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des neuen Grundsteuermodells äußern.  Die übrigen rund 125.000 Einsprüche beziehen sich auf konkrete Punkte wie falsche Grundstücksgrößen.

Bewertung der Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer steht noch aus

Das Finanzministerium in Stuttgart bestätigte diese Zahlen und erklärt, dass bereits rund 57 Prozent der Einsprüche bearbeitet und erledigt sind. Bei den Einsprüchen, die die Verfassungsmäßigkeit betreffen, wird die Bearbeitung zurückgestellt, solange Rechtsschutzverfahren am Bundesfinanzhof laufen. Bereits im Juni 2024 wies das Finanzgericht Baden-Württemberg zwei erste Klagen ab – beide wurden im Anschluss durch Steuerzahlerbund beziehungsweise vom Haus‑& Grund-Verband beim Bundesfinanzhof weiterverfolgt. Die weiteren Schritte hängen entscheidend von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs zum Kernpunkt ab: der Frage, ob das eigenständige Modell Baden-Württembergs verfassungskonform ist.

Transparenzregister schafft Probleme

Darüber hinaus sorgte die Stadt Tübingen beim Thema Grundsteuer für Aufsehen: Rund zwei Millionen Euro fehlten im Haushalt, weil der Hebesatz für die Grundsteuer B im Zuge der Reform zu niedrig angesetzt worden war. Der bisherige Satz von 270 Prozent reichte nicht aus, um das angestrebte aufkommensneutrale Steueraufkommen zu erreichen.

Die Stadt hatte sich am Transparenzregister des Finanzministeriums orientiert, dessen Empfehlungen sich im Nachhinein als zu niedrig erwiesen. Das Register gibt an, welche Hebesätze rechnerisch als aufkommensneutral gelten, also wie viel Prozent eine Kommune erheben müsste, um trotz Reform die gleichen Einnahmen wie zuvor zu erzielen. Das Ministerium hat deshalb den Hebesatz-Korridor für Tübingen nach oben korrigiert – auf 269 bis 297 Prozent. Oberbürgermeister Boris Palmer hält aber selbst 300 Prozent für einen neutralen Wert und will rückwirkend zum 1. Januar einen höheren Hebesatz durchsetzen.

Der Gemeindetag Baden-Württemberg übt grundsätzliche Kritik am Transparenzregister des Finanzministeriums. Es bringe Kommunen in Erklärungsnöte, wenn die tatsächlich aufkommensneutralen Hebesätze vor Ort über dem vom Ministerium empfohlenen Korridor lägen.

Zudem, so der Gemeindetag weiter, müsse sich die Höhe des angestrebten Grundsteueraufkommens – wie in jedem Haushaltsjahr – an der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Kommune, ihrem Finanzbedarf sowie an haushaltsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Erfordernis des Haushaltsausgleichs, orientieren. Die nötige Transparenz werde nicht durch das Register hergestellt, sondern durch die kommunalpolitischen Abwägungen und Entscheidungsprozesse, die regelmäßig in öffentlichen Gemeinderatssitzungen unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse stattfänden.

Welle der Beschwerden ebbt in den Kommunen ab

Die Unstimmigkeiten und der öffentliche Unmut, die offenbar unter vielen Grundsteuerzahlenden im Land herrschen, haben die:gemeinde dazu veranlasst, erneut stichprobenartig bei einigen Kommunen nachzufragen, ob es dort vergleichbare Probleme wie in Tübingen bei der Erhebung gab – und generell, wie sie im Umgang mit der betroffenen Bürgerschaft bei der neuen Grundsteuer vorgehen.

Zunächst lässt sich festhalten: Die Grundsteuerreform bedeutete für viele Verwaltungen einen erheblichen Mehraufwand. „Nach dem Versand der Bescheide verzeichneten wir eine enorme Auslastung in mehreren Bereichen der Stadtverwaltung – darunter Steuerabteilung, Stadtkasse und Gutachterausschuss“, berichtet etwa Dominik Käser, Leiter der Haushaltsabteilung in Rheinfelden. Die Stadt mit rund 33.000 Einwohnern habe eine Telefon-Hotline und ein eigenes E-Mail-Postfach eingerichtet, um den Anfragen gerecht zu werden. „Bei der Bearbeitung haben wir uns an der Handreichung des Städtetags orientiert“, so Käser weiter. Inzwischen habe sich die Lage spürbar beruhigt – im Vergleich zu Jahresbeginn sei eine deutliche Entspannung zu beobachten.

„Es gab auch bei uns einen gewissen Unmut“, berichtet auch Philipp Reiher, der Leiter der Stadtkämmerei in Rheinfelden. Besonders betroffen seien Eigentümer größerer Immobilien oder Grundstücke gewesen, „die diese überwiegend geerbt haben oder bereits seit vielen Jahren besitzen“. Viele von ihnen könnten oder wollten die Wertentwicklung nicht nachvollziehen, so Reiher weiter.

Nach seinen Angaben habe es mehrere hundert Widersprüche gegeben – diese hätten sich jedoch fast ausschließlich gegen die Ermittlung der Bodenrichtwerte gerichtet. „Insgesamt hat die Stadt keinem Widerspruch abgeholfen“, betont Reiher. Nur wenn das Finanzamt den Grundlagenbescheid abgeändert habe, sei eine Korrektur erfolgt.

Sorge vor neuer Widerspruchswelle

Auch in Crailsheim war die Einführung der neuen Grundsteuer mit einer intensiven Phase verbunden. Pressesprecher Matthias Grimm berichtet von „zahlreichen Rückfragen und Beschwerden“ sowie insgesamt knapp 100 Widersprüchen, die in der Stadt im Landkreis Schwäbisch Hall mit rund 36.000 Einwohnern eingegangen seien. Mittlerweile habe sich die Situation beruhigt. Doch Grimm warnt: „Wir gehen davon aus, dass wir wieder eine intensivere Phase erleben, wenn die Widerspruchsbescheide rausgehen.“

Defizite halten sich in Grenzen

Wie Rheinfelden hat sich auch Crailsheim am Transparenzregister des Finanzministeriums Baden-Württemberg orientiert. Anders als in Tübingen sehen beide Kommunen derzeit keinen Anlass für eine nachträgliche Anpassung der Hebesätze. „Unsere Planungen sind weitestgehend eingetreten, eine rückwirkende Anpassung der Hebesätze zum 01.01.2025 steht nicht zur Debatte“, erklärt Grimm. Auch Dominik Käser aus Rheinfelden zeigt sich zuversichtlich: „Die Grundsteuererträge werden sich voraussichtlich auf dem Niveau des Vorjahres einpendeln.“

Stadtkämmerer Philipp Reiher ergänzt, der Gemeinderat habe einen Hebesatz beschlossen, der sich „zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Transparenzregisters am obersten Wert orientiert hat“. Man sei davon ausgegangen, dass spätere Änderungen bei den Grundsteuermessbeträgen das Aufkommen noch etwas senken würden – mit dem Ziel, schlussendlich bei einem aufkommensneutralen Wert zu landen. Aktuell liege man mit 320 v.H. noch knapp über dem Zielwert von 317 v.H., also rund drei Prozentpunkte zu hoch. „Wir gehen davon aus, dass sich das Grundsteueraufkommen zum Ende des Jahres vollständig angleicht“, so Reiher. Eine unterjährige Anpassung des Hebesatzes sei deshalb nicht erforderlich.

In Wäschenbeuren, einer Gemeinde im Landkreis Göppingen, fällt die Bilanz zur Grundsteuerreform vergleichsweise ruhig aus. „Wir sind eine Gemeinde mit etwa 4.000 Einwohnern und haben rund sechs Widersprüche erhalten“, erklärt Liskia Parentin von der Kämmerei. Die meisten dieser Einsprüche habe die Gemeindeverwaltung aufgrund ihres Inhalts an das zuständige Finanzamt weitergeleitet. In vier Fällen sei der Widerspruch nach einer Erläuterung direkt bei der Gemeinde zurückgezogen worden. Die verbleibenden zwei Verfahren lägen derzeit beim Landratsamt als zuständiger Rechtsaufsichtsbehörde.

Ein Einnahmedefizit bei der Grundsteuer B sei laut Parentin bislang nicht festzustellen. Anders sehe es bei der Grundsteuer A aus – dort gebe es zwar ein Minus, „aber da die Einnahmen daraus ohnehin nicht sehr hoch sind, trifft uns das nicht allzu hart“.

Finanzdruck wächst – Kommunen denken über Grundsteuererhöhung nach

Ob angesichts der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen bereits über eine Erhöhung der Grundsteuer im kommenden Jahr nachgedacht werde, beantwortet Matthias Grimm aus Crailsheim mit einem klaren Nein: „Eine Erhöhung der Hebesätze zum 01.01.2026 wird derzeit nicht diskutiert.“ Auch in Wäschenbeuren sei eine Anpassung des Hebesatzes vorerst nicht geplant: „Da die Gemeinde Wäschenbeuren derzeit noch über eine relativ gute Finanzlage verfügt, sehen wir aktuell keinen Handlungsbedarf“, so die Kämmerin.

Anders stellt sich die Lage in Rheinfelden dar: Dort wird über eine mögliche Anpassung der Grundsteuerhebesätze nachgedacht. Philipp Reiher von der Stadtkämmerei betont die wachsende Unsicherheit in der kommunalen Finanzplanung: „Es ist abzuwarten, welche Reformen die neue Bundesregierung auf den Weg bringt – und wie die Länder, insbesondere Baden-Württemberg, die Kommunen künftig finanziell entlasten, um kommunale Strukturen aufrechterhalten zu können.“

In Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung müsse Rheinfelden prüfen, „welche Leistungen sich künftig noch finanzieren lassen oder auf welche Weise sich zusätzliche Erträge generieren lassen“, so Reiher. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommune werde dabei eine zentrale Rolle spielen.

Auch in anderen Städten wird bereits gehandelt: So hat etwa Herrenberg im Landkreis Böblingen eine Anpassung der Grund- und Gewerbesteuerhebesätze politisch angekündigt. Man tue das nicht gerne, hieß es auf Anfrage, sehe angesichts der aktuellen Haushaltslage aber keine Alternative.