Die Mitarbeitenden der Stadt Gaggenau waren die Stars des Films. Das Rathaus wurde für zwei Tage zum Set.
© Stadtverwaltung Gaggenau

Personalsuche mit Augenzwinkern

Viele Kommunen suchen händeringend neue Mitarbeitende, doch die Konkurrenz um Fachkräfte ist groß. Um sich abzuheben, gingen die Städte Gaggenau und Reutlingen mit außergewöhnlichen Kampagnen neue Wege und trafen einen Nerv.

Ein Beamter schwingt im Akkord zwei Stempel, umgeben von Aktenstapeln. Verwaltungsangestellte tippen auf Schreibmaschinen, streicheln liebevoll Faxgeräte oder kämpfen mit alten Röhrenbildschirmen. In Zeitlupe wandern Reisepässe über den Tresen, während dahinter eine Schlange aufgebrachter Bürger wartet. Dazu erklingt eine Sprecherstimme, dramatisch wie in einem Actionfilm: Sie preist die Relevanz und Modernität der Arbeit im „White House“ von Gaggenau.

Ein Feuerwerk an Bürokratie-Klischees – pointiert und professionell inszeniert mit echten Verwaltungsmitarbeitenden der Stadt. Selbstironisch, augenzwinkernd und vor allem lustig ist der Imagefilm „Arbeiten im White House von Gaggenau“, den die Stadtverwaltung im Januar veröffentlichte.

Gaggenau: Eine Satire über sich selbst

Der Film hat allerdings einen ernsten Hintergrund: Verwaltungen kämpfen zunehmend mit Personalmangel. Der demografische Wandel dünnt die Personaldecke aus und die Konkurrenz um Fachkräfte ist groß. Laut Deutschem Beamtenbund fehlten 2024 in der öffentlichen Verwaltung über 570.000 Mitarbeitende, Tendenz steigend.

„Wie viele Branchen haben auch wir Probleme, Fachkräfte zu finden“, sagt Gaggenaus Pressesprecherin Judith Feuerer. „Als öffentlicher Dienst können wir nicht mit der freien Wirtschaft konkurrieren, da wir an Tarifverträge gebunden sind.“ Besonders bei IT-Fachkräften und Ingenieuren sei das schwierig. „Wir konkurrieren auch mit umliegenden Städten, und inzwischen bieten fast alle Dinge wie Jobräder oder Obstkörbe an“, so Feuerer. „Also mussten wir zeigen, was uns besonders macht.“

Die Idee für einen Recruitingfilm kam von Oberbürgermeister Michael Pfeiffer. „Wir wollten dann keinen Film wie andere Städte machen, sondern etwas, das auffällt“, betont die Pressesprecherin. Die Stadt wollte die positiven Seiten der Verwaltung hervorheben. „Uns war wichtig zu zeigen, was uns besonders macht – vor allem den Zusammenhalt und die gute Stimmung.“

Nach einem Brainstorming stand das Konzept der dafür eigens gegründeten Projektgruppe fest: „Wir haben bewusst Klischees über den öffentlichen Dienst aufgegriffen und eine Satire über uns selbst gemacht. Damit wollten wir Humor zeigen und zugleich beweisen, dass wir eben nicht verschlafen, langweilig oder umständlich sind, sondern schnell, bürgerfreundlich und nahbar arbeiten.“ Geholfen habe bei der Erarbeitung des Scripts, dass die Projektleiterin der Stadt, Carolin Roedl, viel Humor hat, unterstreicht Feuerer.

Das Drehbuch wurde dann mit einer regionalen Agentur entwickelt, die Idee und die Inhalte lieferte die Stadt aber selbst. Gedreht wurde an zwei intensiven Tagen. Für die Umsetzung genehmigte der Gemeinderat ein Budget von 40.000 Euro. „Wir konnten ihn überzeugen, dass es sinnvoll investiertes Geld ist, weil wir jährlich ein Vielfaches für Personalanzeigen ausgeben“, so Feuerer.

Der selbstironische Ansatz kam jedoch nicht bei allen gut an – auch intern gab es Bedenken. „Ich hatte die größten Bauchschmerzen“, gibt sie zu. „Wir haben das im Team kontrovers diskutiert und wussten: Der Film ist eine Gratwanderung. Es kann positive wie negative Kritik geben.“

Gaggenau OB
Gaggenaus OB Michael Pfeiffer, hier im Interview mit dem SWR, freut sich im Film über viele Bewerber – bis sich herausstellt, sie stehen nur für Würstchen an.

Eine Umfrage der Stadt ergab später, dass sich vor allem ältere Menschen nicht angesprochen fühlten. „Gerade Ü50 scheint der Humor nicht immer zu erreichen“, erklärt sie. Doch das war einkalkuliert: „Unsere Zielgruppe sind eher Jüngere oder Mittelalte, also 30- bis 40-Jährige. Und bei denen kommt der Film zu 90 Prozent gut an.“ Dass nicht jeder den Humor teilt, sieht sie nicht als Nachteil. „Auch wenn die Leute diskutieren, sind wir im Gespräch.“

Vor der Veröffentlichung wurde der Film dem Gemeinderat gezeigt – das Feedback fiel fast durchweg positiv aus. „Das war ein großer Motivationsschub.“ Am Ende war Feuerer froh, ihre Zweifel über Bord geworfen zu haben, denn der Film wurde ein voller Erfolg.

„Innerhalb einer Woche hatten wir 40.000 Aufrufe auf allen Kanälen“, berichtet Feuerer. Besonders die Berichterstattung durch den SWR im Fernsehen, Radio und online sorgte für enorme Reichweite. Auch andere Kommunen wurden aufmerksam. „Wir haben zahlreiche Zuschriften von Städten und Gemeinden erhalten, die wissen wollten, wie wir das umgesetzt haben.“

Auch auf dem Arbeitsmarkt zeigte der Film Wirkung. „In den ersten Wochen erhielten wir gut zwei Dutzend Initiativbewerbungen“, freut sich Feuerer. Viele nannten explizit den Film in ihrer Bewerbung. Besonders bemerkenswert: Die gesamte Kampagne lief ohne zusätzliches Werbebudget – allein über Social Media und Pressearbeit.

Reutlingen: Mit Selfbashing zur Berühmtheit

Gaggenau ist nicht die einzige Kommune, die mit einer selbstironischen Werbung für Aufsehen sorgte. Im Jahr 2024 machte auch die Kampagne „Reutlingen kannst Du nicht mögen. Nur lieben.“ von sich reden. Sie sollte das Stadtimage stärken und zugleich Reutlingen als attraktiven Arbeitgeber präsentieren. Vom 10. bis 20. Juni hingen 150 Plakate mit provokanten Sprüchen wie „Das Reu in Reutlingen steht für Bereuen“ oder „Nichts ist langweiliger als ein aufregender Tag in Reutlingen.“ in der Stadt. Alle Plakate trugen den Zusatz: „Reutlingen kannst Du nicht mögen.“

„Ich muss zugeben, ich hatte Muffensausen“, erinnert sich Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck an den Start der Werbeaktion. „Dieses Negative in der ersten Woche – das war die Hölle. Überall hingen diese Slogans, bei denen es einem die Schuhe auszog.“ Doch genau das war beabsichtigt: Die Kampagne sollte Verwirrung stiften. Der Gemeinderat und eingeweihte Verwaltungsmitarbeitende wurden um Stillschweigen gebeten, um den Überraschungseffekt zu bewahren. „Ich habe Leuten, die mich fragten, wer dahintersteckt, einfach gesagt: Palmer“, sagt Keck lachend – denn der Bürgermeister der Nachbarstadt und Reutlingens ewigen Rivalen Tübingen ließ sich öffentlichkeitswirksam vor den Plakaten ablichten.

Tübingens OB half so bei der Verbreitung – genau wie geplant, und viele andere taten dies ebenso. Die Plakate sorgten für Diskussionen: Warum redet die Stadt sich selbst schlecht? Presse und Rundfunk berichteten bundesweit. Werbeexperten schätzten den Äquivalenzwert der Berichterstattung auf über 190 Millionen Euro – bei Anzeigenkosten von nur 25.000 Euro.

Nach einer Woche wurde die Kampagne aufgelöst. Bei einer Pressekonferenz ergänzten Bürger den Slogan „Reutlingen kannst Du nicht mögen.“ um „Nur lieben.“ Zeitgleich ging die Website nurlieben.de online, auf der Einwohner persönliche Liebeserklärungen an Ihre Stadt teilten. Auch beim Stadtfest konnten Bürger Videobotschaften aufnehmen – ein emotionaler Abschluss. „Nach einer Woche kam die Wendung. Das tat absolut gut“, so Keck. „Danach war ich sehr froh, dass wir es gemacht haben.“

Eine Imagekampagne für die Stadt war laut Keck lange geplant. „Verwaltung und Gemeinderat waren sich einig, dass wir ein Stadtmarketing aufbauen wollen“, so der OB. „Wir sind die größte Stadt zwischen Stuttgart und dem Bodensee – und wollen etwas daraus machen.“ Die Kampagne läuft bis heute und wird stetig weiterentwickelt.

Dass der Start als Schmähkampagne erfolgte, sei hoch umstritten gewesen. „Das konservative Establishment der Stadt hat den Kopf geschüttelt“, erinnert sich Keck. Auch er hatte zunächst Bedenken, entschied sich aber dafür. „Du musst dich von anderen absetzen. Der Mainstream sagt immer nur: ‚Bei uns ist es toll und toller als woanders.‘ Das war uns zu abgedroschen.“

Reutlingen PK
Bürgermeister Thomas Keck (Zweiter v. re.) bei der Auflösung der Schmähkampagne

Auch bei der Fachkräftesuche sollte die Kampagne helfen. „Von unseren 2.800 Stellen sind derzeit zehn Prozent unbesetzt“, so Keck. Doch die Aktion zeigte bereits Wirkung: „Bei Bewerbungsgesprächen hören wir oft: ‚Ich bin durch die Kampagne auf Sie aufmerksam geworden.‘“ Selbst auf Recruiting-Messen werde sie regelmäßig thematisiert – sie habe sich also auch in der Personalgewinnung als äußerst wirkungsvoll erwiesen.

Den Werbepsychologen und Professor an der Hochschule für Medien Arnd Engeln wundert der Erfolg der beiden Kampagnen nicht. „Aufmerksamkeit entsteht, wenn etwas Unerwartetes passiert. Genau diesen Effekt nutzt Werbung gezielt“, erklärt er. „Humor ist besonders wirksam, weil er Emotionen anspricht – und die steuern uns oft stärker als rationale Argumente.“ Zudem fördere er die Verbreitung in sozialen Medien: „Ein guter Gag kann viral gehen und enorme Reichweite erzielen.“

Emotionen seien generell ein guter Weg, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln. „Natürlich kann ich auch mit Fakten arbeiten, aber in der Werbung zeigt sich, dass sie in den letzten Jahrzehnten immer weniger auf Fakten und zunehmend auf Emotionen setzt, weil diese dominanter wirken.“

Dabei muss nicht unbedingt Humor das Mittel der Wahl sein. Stolz oder das Gefühl von Gemeinschaft könne ähnlich wirken. „Positive Gefühle sind auch Vertrautheit oder Sicherheit. Und wenn ich die vermitteln kann, dann kann ich mich als Arbeitgeber attraktiv darstellen“, überlegt Engeln mit Blick auf die Verwaltung. Natürlich sei es gleichermaßen wichtig, etwas im Kern authentisch darzustellen.

Das unterstreicht auch Judith Feuerer: „Wir wollten nie etwas zeigen, was wir nicht sind. Wir sind nicht der modernste Arbeitgeber, aber wir haben ein tolles Team und ein starkes Miteinander.“ Das sei auch im Film spürbar – die Mitarbeitenden hatten beim Dreh sichtbar Spaß.

Anderen Kommunen rät sie nach ihrer Erfahrung, sich ebenfalls etwas zu trauen und auch Bürgermeister Keck ermutigt zu mutigem Marketing: „Man muss sich abheben, seine Stärken betonen und neue Wege gehen.“ Ironie oder Sarkasmus seien natürlich heikel, weil sie nicht immer richtig verstanden werden. „Bei uns hat es funktioniert – doch es war ein Wagnis.“

Mehr Werbetipps für Kommunen finden Sie im Interview mit dem Experten Arnd Engeln.