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„Mit nur einem Standbein wird die Wasserversorgung wackelig“

Viele Kommunen in Baden-Württemberg setzen bei der Trinkwasserversorgung auf nur eine Quelle – ohne Absicherung durch Fernleitungen oder Nachbarn. Im Interview erklärt Bernhard Röhrle von der Landeswasserversorgung, warum das riskant ist, welche Maßnahmen jetzt nötig sind und warum Kooperation der Schlüssel sein kann.

die:gemeinde: Herr Röhrle, wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass einzelne Kommunen in Baden-Württemberg in 20 Jahren echte Probleme mit der Trinkwasserversorgung bekommen, wenn sie nicht rechtzeitig handeln?

Bernhard Röhrle: Das Risiko ist definitiv gegeben. Deshalb ist es wichtig, jetzt zu sensibilisieren. Es geht darum, rechtzeitig im Vorfeld Maßnahmen zu ergreifen. Es gibt verschiedene Szenarien, die problematisch werden können. Ein Beispiel: Laut dem Masterplan Wasser des Landes haben 80 Prozent der Kommunen heute nur ein Standbein in ihrer Wasserversorgung – das heißt eine eigene Quelle oder einen Brunnen. Sie haben keine Möglichkeit, Wasser aus einer Nachbarkommune zu beziehen oder auf Fernversorgung zurückzugreifen. Wenn diese Kommunen nichts tun, werden es in zehn Jahren 90 Prozent sein.

Ein Standbein reicht nicht mehr aus 

die:gemeinde: Welche Risiken gibt es sonst noch?

Röhrle: Das besteht im Rückgang der Grundwasserneubildung. Laut Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) kann diese je nach Region zwischen 15 bis 50 Prozent  des heutigen Niveaus betragen. Quellen können perspektivisch weniger schütten oder ganz versiegen, und Brunnen nicht mehr die nötige Wassermenge fördern. Wenn gleichzeitig die Bevölkerungszahl steigt – was zu erwarten ist – und die Infrastruktur veraltet, verschärft sich das Problem. Hinzu kommt: In manchen Kommunen versickern bis zu 30 Prozent des geförderten Wassers im Leitungsnetz. Technisch ließen sich Verluste auf fünf Prozent senken – durch Sanierung, Leckortung, Modernisierung. Wenn aber Wasserquellen zurückgehen und gleichzeitig ein Drittel verloren geht, dann wird es kritisch – vor allem im Hochsommer bei hohem Verbrauch.

die:gemeinde: Was sind die konkreten Hausaufgaben für die Kommunen?

Röhrle: Zum einen sollten sie sich ein zweites Standbein bei der Wasserversorgung schaffen. Zum anderen: die Verluste im Leitungsnetz reduzieren. Darüber hinaus braucht es eine systematische Bestandsaufnahme: Welche Quellen und Brunnen gibt es, wie viel liefern sie, wie stabil sind sie? Gibt es historische Datenreihen, um Trends abzuschätzen? Wie ist der Zustand der Pumpen, der Hochbehälter, der Steuerungstechnik? Reichen die Speicherkapazitäten auch bei mehreren aufeinanderfolgenden Dürrejahren? Das Ganze ist im Prinzip wie ein technischer TÜV für die gesamte Wasserversorgung. Vor allem kleinere Kommunen ohne eigenes Fachpersonal brauchen hier Unterstützung – methodisch, finanziell, organisatorisch.

die:gemeinde: Stellt das Land eine einheitliche Datenerhebung oder digitale Vorlage für diese Bestandsaufnahme zur Verfügung?

Das Land stellt mit dem Masterplan einen einheitlichen Rahmen zur Verfügung. Kommunen, die ihre Daten parat haben, können sie dort direkt einpflegen. Andere müssen diese Daten erst erheben. Soweit ich weiß, gibt es dazu auch eine Checkliste – eventuell auch digital.

Was Kommunen jetzt konkret tun können

die:gemeinde: Wie können sich Kommunen neue Quellen erschließen?

Zunächst lohnt sich ein Blick auf stillgelegte Brunnen oder aufgegebene Wasserschutzgebiete. Manchmal wurden diese wegen Belastungen, zum Beispiel durch Düngemittel oder Industrie, aus dem Betrieb genommen. Heute kann man prüfen, ob eine Reaktivierung möglich ist – vielleicht zumindest zur Deckung von Spitzenbedarfen. Das Potenzial ist punktuell unterschiedlich. Aber es gab in der Vergangenheit oft den Fall, dass Kommunen eher ein Gewerbegebiet erschlossen haben, als ein Wasserschutzgebiet auszuweisen. Solche Entscheidungen kann man heute hinterfragen und umkehren.

die:gemeinde: Und wie sieht es mit den Kosten aus?

Röhrle: Die Kosten hängen vom Einzelfall ab, aber ja – Investitionen sind nötig, etwa ein Prozent des Anlagenvolumens jährlich, um die Systeme funktionsfähig zu halten. Dazu kommen Personal-, Energie- und Qualitätskontrollkosten – etwa wegen neuer Schadstoffe im Wasserkreislauf.

die:gemeinde: Sie sagen, der Preis für Trinkwasser könnte langfristig von 30 auf 50 Cent pro Kopf und Tag steigen. Was treibt diesen Anstieg, und wann wird er spürbar?

Röhrle: Die Entwicklung wird schrittweise spürbar sein – vergleichbar mit der Infrastruktur in anderen Bereichen. In der Wasserversorgung hat man lange von der Substanz gelebt. Viele Anlagen sind 50 bis 100 Jahre alt. Die nötige Sanierung kostet Geld. Auch qualifiziertes Personal, Energie und die Umstellung auf erneuerbare Energien wie PV-Anlagen treiben die Preise.

die:gemeinde: Wie belastbar sind die Fernversorgungssysteme – etwa vom Bodensee oder aus der Donau?

Röhrle: Die Infrastruktur ist gut, und das dreistufige Versorgungssystem in Baden-Württemberg – also örtlich, regional, fern – hat sich seit über 100 Jahren bewährt. Wenn alle Ebenen kontinuierlich modernisiert werden, gibt es keinen Grund zur Sorge. Aber: Wir dürfen nicht wegschauen und Aufgaben immer weiter verschieben. Die Bodensee-Wasserversorgung beispielsweise investiert derzeit massiv in die Erneuerung ihrer Infrastruktur – nach 70 Jahren Betriebszeit ist das notwendig.

Kooperation schafft Sicherheit

die:gemeinde: Sie haben vorhin gesagt, viele Kommunen haben Handlungsbedarf. Wird das Thema aktuell unterschätzt?

Röhrle: Sagen wir es so: Viele Kommunen stehen vor Aufgaben, die sie bislang noch nicht ausreichend angegangen sind. Die Zahl, dass 80 Prozent nur ein Standbein haben, spricht für sich. Und wenn nichts passiert, werden es bald 90 Prozent. Ein System mit nur einem Standbein ist wie ein Mensch auf einem Bein – bei Belastung fällt man schnell um. Der Klimawandel ist genau diese Belastung.

die:gemeinde: Welche Rolle spielt interkommunale Zusammenarbeit?

Röhrle: Eine sehr große. In Form von Gruppenwasserversorgungen kann es sehr sinnvoll sein, dass sich Kommunen zusammenschließen. Wenn eine Kommune mehr Wasser hat, kann sie andere versorgen – und vielleicht erhält sie im Gegenzug Unterstützung bei anderen Themen. Kooperation kann auch die kostengünstigste Lösung sein.

die:gemeinde: Letzte Frage: Wie offen sollten Kommunen mit Bürgerinnen und Bürgern über Wassermangel und steigende Preise sprechen?

Röhrle: Unbedingt offen. Viele Menschen wissen gar nicht, was ihr Wasser kostet. 30 Cent pro Tag für sauberes Trinkwasser sind wenig – auch wenn 50 Cent im ersten Moment viel klingen. Wenn man das in Relation setzt, zum Beispiel zu einem Latte Macchiato für 4,30 Euro, wird schnell klar, wie günstig unsere Wasserversorgung eigentlich ist. Transparente Kommunikation schafft Verständnis – und Akzeptanz für notwendige Investitionen.