In Baden-Württemberg unterstützen die Städte und Gemeinden die Einzelhändler, um die Innenstadt zu retten.
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Mit Erlebnissen und Online-Plattformen die Innenstädte retten

Die Zwangsschließung und die Beschränkungen zur Eindämmung der Coronapandemie haben den stationären Einzelhandel geschwächt. Städte und Gemeinden wollen ihre Innenstädte vor dem Aussterben retten. Beach Clubs, Quartiersfeste und Online-Plattformen sollen die Einnahmen ankurbeln.

Menschen stehen Schlange, obwohl im Kaufhaus kaum etwas los ist, jemand läuft zurück nach Hause, weil er seine Mund-Nasen-Maske vergessen hat, wieder Andere bleiben lieber daheim, weil sie befürchten in Menschenmassen zu geraten – sowohl die Hygienemaßnahmen als auch die Vorsicht der Bürger, wegen der nach wie vor nicht überstandenen Coronapandemie, haben das Bild der Innenstädte verändert. Nachdem der Einzelhandel und die Gastronomie über Wochen fast vollständig geschlossen waren, kehrte in den letzten Wochen wieder Leben in die Innenstädte zurück. Doch die Menschen sind zögerlich in ihrem Konsumverhalten und Abstandsregeln dünnen die Kunden- und Gästeströme aus. 

Umsätze weiter unter Vorjahreswerten

Drei Wochen nach Wiedereröffnung der Ladengeschäfte führte der Handelsverband Baden-Württemberg eine Umfrage bei 700 Händlern durch, um herauszufinden, wie sich ihre Umsätze seit der Wiedereröffnung entwickelt haben. Im Durchschnitt gaben die Händler an, dass ihr Umsatz bei 30 bis 40 Prozent des Vorjahreszeitraums liegt. 50 Prozent der befragten Händler gaben an, dass sie fürchten, ihr Geschäft schließen zu müssen, wenn die Situation sich nicht bald verbessert. Mitte Juni – einen Monat später – hat der Handelsverband Deutschland eine ähnliche Umfrage durchgeführt. Die Hälfte der Händler gab an, in der laufenden Woche weniger als 75 Prozent des Vorjahresumsatzes zu verzeichnen. Ein Drittel gab an, dass der Umsatz bei weniger als 50 Prozent des Vorjahresumsatzes liegt. 

Kommunen unterstützen ihre Einzelhändler in der Krise

HDE und Handelsverband Baden-Württemberg fordern steuerliche Erleichterungen, Hilfsfonds und Entbürokratisierung von Ländern und Bund. Doch auch die Kommunen beteiligen sich an der Stärkung des stationären Einzelhandels. Nicht nur indem sie etwa die Gewerbesteuervorauszahlung aussetzen oder mindern. Während die Geschäfte geschlossen waren, haben viele Kommunen Online-Plattformen aufgebaut, damit Kunden sich informieren konnten, wie sie weiterhin bei den Händlern vor Ort kaufen können oder wie sie sie etwa mit Gutscheinaktionen unterstützen können. Die Seite Lokalhelden-BW des Gemeindetags Baden-Württemberg und des Handelsverbands Baden-Württemberg bündelt all diese Aktionen. Doch auch jetzt nach der Wiedereröffnung helfen viele Kommunen tatkräftig dabei, die Bürger zurück in die Innenstädte zu lotsen. 

Gastronomie zieht Kunden in die Innenstadt

„Problematisch ist besonders, dass die Spontankäufe ausbleiben, wenn sich die Kunden in der Innenstadt weniger wohl fühlen“, heißt es aus dem Handelsverband Baden-Württemberg. In Künzelsau versucht die Stadt dem durch Veranstaltungen in der Innenstadt entgegenzuwirken. „Wir haben festgestellt, dass die Innenstadt wieder deutlich belebter ist, seit die Gastronomie wieder öffnen konnte“, erzählt Christoph Bobrich von der Wirtschaftsförderung der Stadt Künzelsau. „Auch die Nachfrage nach dem Lieferservice, den wir während der Coronabeschränkungen für alle Geschäfte organisiert haben, ist seither zurückgegangen. Auch das deutet darauf hin, dass die Bürger wieder selbst in die Innenstadt gehen, um einzukaufen.“ Um diesen Trend zu unterstützen, baute die Stadt im Juni an vier Punkten in der Innenstadt Strandbars auf. Die umliegenden Gastronomiebetriebe können die Gäste der Strandbar bewirten. Regelmäßig gibt es an den vier Punkten Konzerte von lokalen Bands, Lesungen und Buchvorstellungen, organisiert vom örtlichen Buchhandel und Modenschauen mit den neuen Kollektionen der ansässigen Boutiquen.

Mit Sandstränden an vier Stellen in der Innenstadt will die Gemeinde Künzelsau Einzelhandel und Gastronomie ankurbeln.
Mit Sandstränden an vier Stellen in der Innenstadt will die Gemeinde Künzelsau Einzelhandel und Gastronomie ankurbeln. (c)Stadtverwaltung Künzelsau

Künzelsau: Sandstrände sollen Anziehungspunkt werden

„Unsere Sandstrände sollen ohne Kosten für die Unternehmen mehr Bürger in die Innenstadt locken und so auch den Konsum vor Ort ankurbeln“, sagt Bobrich. „Für die Stadt entstehen dabei natürlich Kosten, aber die nehmen wir gerne in Kauf, wenn dadurch die Einnahmen der Einzelhändler und Gastronomen wieder entsprechend steigen und die Innenstadt belebt wird.“ Die Stadt hat für die Beach Clubs Liegestühle angeschafft, Einfassungen für die Sandflächen bauen lassen und zusätzliche Kosten für Werbung und Personal auf sich genommen. Doch auch einige ortsansässige Unternehmen waren bereit, zu helfen. Ein Baufachhandel stellt Palmen zur Dekoration zur Verfügung und ein Fotofachgeschäft hat eine Fotobox aufgestellt, in der Gäste der Beach Clubs Selfies machen können. „Der Sommer in der Stadt soll eine attraktive Alternative werden“, sagt Bobrich. „In diesem Jahr werden viele Bürger wahrscheinlich noch vor einem Sommerurlaub im Ausland zurückschrecken. Da sollten sie in ihrer Stadt so viel Lebensqualität wie möglich geboten bekommen. Wenn das gleichzeitig dazu führt, dass die Geschäfte in der Innenstadt erhalten bleiben, ist das umso besser.“ 

Mit dem Slogan "Sommer in der Stadt" wirbt Künzelsau für die Veranstaltungen rund um ihre Sandstrände. (c)Olivier Schniepp/Stadt Künzelsau
Mit dem Slogan "Sommer in der Stadt" wirbt Künzelsau für die Veranstaltungen rund um ihre Sandstrände. (c)Olivier Schniepp/Stadt Künzelsau

Rutesheim: Quartiersfeste wie beim Oktoberfest

Auch in Rutesheim gibt es alle zwei Wochen kleine Veranstaltungen in unterschiedlichen Vierteln der Stadt. „Wir veranstalten Open Airs für die Bürger“, sagt Werner Dengel vom Verein der Selbstständigen in Rutesheim. „Die Idee haben wir aus München, wo ja sogar das Oktoberfest in kleine Open Airs über den Sommer verteilt stattfinden soll.“ Auch in Rutesheim sollen die Veranstaltungen von Künstlern und Gastronomen aus der Stadt begleitet werden. Doch auch wenn der stationäre Einzelhandel vor Ort wieder Einnahmen machen kann, warnt Dengel, der selbst eine Buchhandlung führt, davor, den Online-Handel außer Acht zu lassen. „Wir haben während der Zwangsschließung gemerkt, wie wichtig es ist, einen eigenen Online-Shop zu haben. Wir hatten schon vor der Coronapandemie einen Webshop und konnten darüber weiterhin einige Kunden erreichen. Andere Geschäfte in unserer Ladenstraße hatten diese Möglichkeit nicht und sollten dringend darüber nachdenken, das zu ändern.“ 

"Südbaar handelt" wird weiterentwickelt

Vier Kommunen aus Südbaar haben sich während der Zwangsschließungen zusammengetan, um ihren Einzelhandel gemeinsam zu unterstützen. Die Kommunen haben Imagevideos für ihre Einzelhändler gedreht und den Geschäften einige weitere Hilfen an die Hand gegeben. So etwa eine Handreichung zu den Hygienemaßnahmen, Plakate, die die Kunden über die Maßnahmen aufklären sollten, sowie Plakate zur Bewerbung der gemeinsamen Online-Plattform. Denn die vier Städte haben eine gemeinsame Internetplattform für ihren Einzelhandel aufgebaut, inklusive Facebook-Seite und E-Mail-Adresse, unter dem Motto „Südbaar handelt“. 170 Einzelhändler und Gastronomen sind Teil der Plattform.

Jetzt, wo die Geschäfte wieder geöffnet sind, überlegen wir, wie wir die Plattform weiterentwickeln können, damit sie dem Einzelhandel auch nach der Wiedereröffnung helfen kann. Wir können uns vorstellen, die Seite in Richtung eines Online-Shops zu entwickeln, aber wir haben noch keine Entscheidung getroffen.

Alexandra Bouillon, Wirtschaftsförderung der Stadt Blumberg

Alexandra Bouillon über Innenstadt und Online-Handel

Auch in Künzelsau soll die Webseite der Stadt, die während der Zwangsschließung entstanden ist, weiterentwickelt werden. „Wir werden die #kaufdaheim-Seite an die Werbegemeinschaft übertragen“ sagt Christoph Bobrich. „In Zukunft sollen über die Seite regelmäßig Wochenangebote der verschiedenen Händler angekündigt werden. Und die Stadt wird die Angebote über ihre Social Media-Kanäle teilen.“