Digitale Gemeinderatssitzungen bleiben trotz Gesetzesgrundlage eine Seltenheit.
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Mehr digitale Gemeinderatssitzungen im Winter?

Seit Mai dürfen Kommunen in Baden-Württemberg digitale Gemeinderatssitzungen abhalten - tun dies jedoch kaum, wie eine Aufstellung des Innenministeriums nun zeigt. Das Ministerium geht davon aus, dass die relativ geringen Infektionszahlen im Sommer der Grund sind. Doch es wird auch Kritik am Gesetz laut.

Um den Infektionsschutz bei Gemeinderatssitzungen zu gewähren, reagierte Baden-Württemberg als erstes Bundesland mit einem Gesetz, dass digitale Gemeinderatssitzungen erlaubte. Das Gesetz ermöglicht, dass Kommunen mit einer Änderung ihrer Hauptsatzung in "einfachen Fällen und in absoluten Ausnahmesituationen" notwendige Sitzungen in Form einer Videokonferenz oder auf vergleichbare Weise durchführen können. Im April während des Lockdowns angekündigt, folgte der Gesetzesbeschluss allerdings erst am 13. Mai - nach Beendigung der Zwangspause für die Gemeinderäte.

Nur sieben Kommunen mit digitalen Gemeinderatssitzungen

Knapp sechs Monate später verlangte die FDP-Fraktion im Landtag nun eine Aufstellung des Innenministeriums über die Kommunen, die ihre Gemeindeordnung entsprechend geändert und bereits digitale Sitzungen durchgeführt haben. Das Ergebnis: Kaum eine Kommune in Baden-Württemberg hat von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Gerade einmal 24 von 1.101 Kommunen im Land haben ihre Gemeindeordnung angepasst. Nur zwei Kommunen haben regelmäßig Hybridsitzungen durchgeführt, bei denen nur eine geringe Zahl von Gemeinderäten im Sitzungssaal mit dem nötigen Abstand sitzen, während die restlichen Gemeinderäte per Videokonferenz zugeschaltet sind. Dabei handelt es sich um die Städte Wiesloch und Tübingen. Ein bis zwei Mal in digitalen oder Hybridsitzungen kamen die Gemeinderäte von Bietigheim, Dettingen an der Erms, Obernheim, Sindelfingen und Schwarzach zusammen. Somit haben bisher sieben Kommunen während der Corona-Pandemie Erfahrungen mit digitalen Gemeinderatssitzungen gesammelt. Alle anderen Kommunen bevorzugten Präsenzsitzungen in großen Räumen, in denen sie den nötigen Abstand halten konnten. 

Innenministerium rechnet mit mehr digitalen Gemeinderatssitzungen im Winter

In einer Stellungnahme des Innenministeriums, die den Stuttgarter Nachrichten exklusiv vorliegt, wird deutlich, dass man hier davon ausgeht, dass die Zahl der digitalen Gemeinderatssitzungen im Winter steigen werde. Die Gesetzesgrundlage war erst im Mai geschaffen worden. Da die Infektionszahlen im Sommer verhältnismäßig niedrig waren, habe man in den Gemeinden vermutlich nicht die Notwendigkeit gesehen digitale Gemeinderatssitzungen abzuhalten, argumentiert das Ministerium. Dass die Möglichkeit im Winter voraussichtlich mehr genutzt werde, zeige auch, dass die Kreistage von Böblingen und Tübingen im Oktober digital getagt hätten.

FDP-Fraktion kritisiert Rechtsunsicherheiten für die Kommunen

Die FDP-Fraktion sieht andere Gründe für das Ausbleiben weiterer digitaler Gemeinderatssitzungen: Die Gesetzesgrundlage berge für die Kommunen zu viele Unsicherheiten. So muss für eine digitale Gemeinderatssitzung ein "schwerwiegender Grund" vorliegen. (Ober-)Bürgermeister müssen die Situation selbst prüfen und entscheiden, ob ein solcher Grund vorliegt. Es bleibe, laut FPD-Fraktion, das Risiko, dass die Entscheidung des Bürgermeisters nicht anerkannt wird und die Beschlüsse der Sitzung hinfällig würden. Das Risiko, dass eine digitale Gemeinderatssitzung nicht rechtssicher sein könnte, falle damit auf die Kommunen selbst zurück. 

Auch der Städtetag hatte bereits davor gewarnt, Bebauungspläne in einer digitalen Gemeinderatssitzung zu beschließen, weil das Risiko bestünde, dass die Entscheidung angefochten wird. Unklar sei die Rechtssicherheit etwa auch, wenn Gemeinderäte aufgrund technischer Probleme nicht an der Abstimmung teilnehmen können. Das Innenministerium sieht diese Probleme nicht und hält an der im Mai getroffenen Gesetzesgrundlage fest.