Länder fordern „Zeitenwende im Zivilschutz“
Drei Tage lang tagten vergangene Woche die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Mainz. Dabei stand ein großes Themenspektrum auf der Agenda. Unter anderem wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ein deutlicher Ausbau des Zivilschutzes gefordert. Angesichts zunehmender sicherheitspolitischer Spannungen, Naturkatastrophen und hybrider Bedrohungen müsse Deutschland seine „gesamte Verteidigungsfähigkeit“ neu denken – militärisch wie zivil.
Mehr Investitionen in Notstromversorgung, Warnsysteme, Schutzräume und Co
Die Länder betonen, dass Zivilschutz und Katastrophenvorsorge ein integraler Bestandteil der nationalen Sicherheitsarchitektur seien. Dazu gehören funktionierende Kommunikations- und Energieinfrastrukturen, geschützte Versorgungswege sowie leistungsfähige Rettungs- und Gesundheitsdienste. Mit Mitteln aus dem Sondervermögen Infrastruktur sollen Länder und Kommunen künftig stärker in ihre eigene Krisenresilienz investieren können – etwa in Notstromversorgung, Warnsysteme, Schutzräume und die Modernisierung kritischer Netze.
Zugleich verlangen die Länder schnellere Genehmigungs- und Bauverfahren, um Schutzmaßnahmen unbürokratisch umsetzen zu können. Der Zivilschutz müsse nach Jahren der Vernachlässigung zu einer gesamtstaatlichen Aufgabe werden, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam tragen. Nur so könne die Bevölkerung im Ernstfall effektiv geschützt werden. „Gesamtverteidigung bedeutet nicht nur Panzer und Munition“, heißt es aus Länderkreisen, „sondern auch Trinkwasser, Kommunikation, Rettungsdienste und funktionierende Verwaltungen – selbst unter Druck.“
„Wir haben bei der Bundeswehr eine Zeitenwende erlebt – jetzt brauchen wir sie auch im Zivilschutz“, forderte Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. „In den vergangenen Jahrzehnten ist viel verloren gegangen: Sirenen, Schutzräume, Vorräte – das müssen wir wieder aufbauen. Der Bund trägt dabei die Hauptverantwortung, aber wir Länder wollen unterstützen“, so Schweitzer weiter. Dafür brauche man klare Pläne, verlässliche Finanzierungszusagen und vor allem Planungssicherheit für die Kommunen. „Damit sie wissen, worauf sie sich vorbereiten müssen – und die Bevölkerung im Ernstfall wirklich geschützt ist.“
Auch in Baden-Württemberg große Zivilschutz-Defizite
Bereits im März hat Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl einen erheblichen Nachbesserungsbedarf beim Zivilschutz im Land festgestellt: Viele der rund 220 vorhandenen Schutzräume seien veraltet oder nicht mehr nutzbar, da sie nach dem Ende des Kalten Krieges als nicht mehr notwendig erachtet wurden. Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage forderte Strobl eine umfassende Vorbereitung des Südwestens auf einen möglichen Verteidigungs- oder Krisenfall. Dazu müsse die Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Kräften neu gedacht werden – künftig solle nicht mehr die Bundeswehr die Zivilgesellschaft unterstützen, sondern umgekehrt.
Auch Krankenhäuser und Rettungsdienste müssten sich auf eine höhere Belastung und die Versorgung von Verwundeten einstellen. Strobl mahnte damals, Bund, Länder und Kommunen müssten „ihre Hausaufgaben“ im Bevölkerungsschutz dringend nachholen, um im Ernstfall handlungsfähig zu sein.
Nationales Schutzraumkonzept soll noch in diesem Jahr kommen
Hintergrund ist, dass der Deutsche Bundestag bereits im Januar die gemeinsame Entwicklung eines nationalen Schutzraumkonzepts durch Bund und Länder beschlossen hat. Dabei wurde festgehalten, dass klassische Bunkerbau-Konzepte heute nicht mehr ausreichend sind, da bei Drohnen- oder Raketenangriffen nur sehr kurze Vorwarnzeiten bleiben – oft nur wenige Minuten. Deshalb sollen künftig auch näher gelegene Schutzmöglichkeiten geprüft werden, etwa in Kellern von Wohnhäusern, Geschäften, Betrieben und öffentlichen Einrichtungen. Auf dieser Grundlage sollen Handlungsempfehlungen erarbeitet werden.
Das Schutzraumkonzept soll voraussichtlich noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. Unter anderem ist geplant, in Pilotkommunen Bedarfe und Vorgehensweisen zu erproben. (Weitere Informationen zum Stand des Zivilschutzes in Kommunen lesen Sie hier.)
MPK: Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Fokus
Neben dem Zivilschutz bekundeten die Länder auf der MPK auch ihren Willen, die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland massiv zu stärken. Sie betonten dabei die Notwendigkeit, sowohl die militärische als auch die zivile Verteidigungsfähigkeit deutlich auszubauen. Deutschland müsse auf eine „gesamtstaatliche Verteidigung“ vorbereitet sein – mit einer starken Bundeswehr und resilienten zivilen Strukturen in Ländern und Kommunen.
Konkret fordern die Länder eine schnellere Beschaffung von Rüstungsgütern, vereinfachte Vergabeverfahren und den Ausbau eines deutschlandweiten Netzes von Produktions- und Instandhaltungsstandorten. Nationale und europäische Unternehmen sollen bei Rüstungsprojekten bevorzugt werden, um Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Auch kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups sollen stärker eingebunden werden.
Die Länder mahnen außerdem an, die regulatorischen Rahmenbedingungen zu modernisieren, Genehmigungen zu beschleunigen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Sicherheitsindustrie langfristig zu sichern. Neben der militärischen Aufrüstung geht es auch um den Schutz kritischer Infrastruktur, eine widerstandsfähige Logistik und die Vorbereitung auf Krisenfälle. Das Ziel: eine wehrfähige, innovationsstarke und wirtschaftlich eigenständige Sicherheitsarchitektur, die Deutschland und Europa in einer unsicher werdenden Welt schützt.
Sondervermögen nicht ausreichend
Ein zentrales Ergebnis der MPK ist die Zustimmung der Länder zum Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Länder begrüßen das Grundgesetzvorhaben, mahnen jedoch, dass der tatsächliche Investitionsbedarf weit über die bisher zugesagten 100 Milliarden hinausgehe. Sie fordern eine frühzeitige Abstimmung mit dem Bund und weniger Bürokratie bei der Mittelvergabe.
Mit Blick auf die Wirtschaft betonten die Länder die Bedeutung der Automobilindustrie und fordern verlässliche Rahmenbedingungen für Elektromobilität und Batterieproduktion. Gleichzeitig pochen sie auf faire Ladepreise und einen stärkeren Ausbau der Ladeinfrastruktur. Beim geplanten Verbrenner-Aus plädieren sie jedoch für mehr Flexibilität.
Im Bereich der Klimapolitik befasste sich die MPK mit der Treibhausgasminderungsquote im Schiffsverkehr. Die Länder mahnen, ehrgeizige nationale Ziele mit EU-Regelungen zu harmonisieren, um Wettbewerbsnachteile für deutsche Häfen zu vermeiden. Auch die Pflichtversicherung für Elementarschäden wurde bekräftigt: Der Bund soll nun endlich einen Gesetzesentwurf für eine bundesweite Versicherung vorlegen.
Ein weiteres Thema war die Sicherung des Luftverkehrsstandorts Deutschland. Die Länder zeigen sich besorgt über steigende Standortkosten und fordern deutliche Senkungen bei Steuern und Gebühren, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Flughäfen zu erhalten. Zudem betonten sie in ihrer außenwirtschaftlichen Erklärung die Bedeutung offener Märkte und neuer Handelsabkommen – etwa mit den USA, Mercosur und Indonesien – sowie den Ausbau der europäischen Kapitalmarktunion.
Daneben gab es eine Reihe von Themen, die nur erörtert, aber nicht beschlossen wurden: darunter die Weiterentwicklung des Sozialstaats, die Modernisierung des Staatswesens, die Veranlassungskonnexität, die gerechte Verteilung Geflüchteter, die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie, die Anerkennung ausländischer Qualifikationen sowie die EU-Haushalts- und Kohäsionspolitik ab 2028.
Zu den Themen Staatsmodernisierung, Sozialstaatsreform und Veranlassungskonnexität betonten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, dass die großen Zukunftsaufgaben nur im engen Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen gelingen können. Ministerpräsident Alexander Schweitzer machte deutlich, dass Staatsmodernisierung und Konnexität zusammengehören: „Der Grundsatz ‚Wer bestellt, bezahlt‘ muss auch auf Bundesebene gelten. Wenn der Bund neue Aufgaben schafft oder höhere Standards etwa im Sozialbereich vorgibt, muss er auch für eine verlässliche Finanzierung sorgen.“
Ziel sei es, den Staat effizienter, bürgernäher und gerechter aufzustellen. Dazu gehört aus Sicht der Länder auch eine Weiterentwicklung des Sozialstaats, die Leistungen vereinfacht und Doppelstrukturen abbaut. „Es geht nicht um Kürzungen, sondern um mehr Wirksamkeit. Sozialleistungen, die heute noch bei unterschiedlichen Ämtern beantragt werden müssen, sollten gebündelt werden – etwa durch die Zusammenlegung von Wohngeld und Kinderzuschlag. Das würde den Menschen helfen und zugleich die Verwaltung spürbar entlasten“, so Schweitzer.
