
Festkultur in Gefahr?
Allmählich zeigt sich im Südwesten der Frühling erneut in all seiner Pracht. Das zieht die Menschen vermehrt ins Freie. In vielen Städten und Gemeinden beginnt mit dem Frühling zugleich die Saison der Feste, die oft auf öffentlichen Straßen und Plätzen oder Festwiesen stattfinden.
Doch die Vorfreude ist vielerorts getrübt. Denn die vergangenen Monate waren überschattet von zahlreichen Anschlägen und brutalen übergriffen: Im August erschütterte ein Messerangriff ein Stadtfest in Solingen, bei dem drei Menschen getötet und acht weitere verletzt wurden. Die Terrormiliz Islamischer Staat bekannte sich zu der Tat. In Magdeburg raste ein Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt, sechs Menschen verloren ihr Leben, viele weitere wurden verletzt.
Im Januar traf die Gewalt eine Kindergruppe in einem Park – ein kleines Kind und ein couragierter Helfer starben. Und nur wenige Wochen später ereignete sich im Februar ein weiterer Anschlag: Bei einer Verdi-Kundgebung in München fuhr ein Mann gezielt in eine Menschenmenge. 39 Personen wurden verletzt, eine Mutter und ihr zweijähriges Kind überlebten den Angriff nicht.
Sicherheitsvorkehrungen stellen Vereine vor Probleme
Es ist verständlich, dass staatliche Stellen auf eine solche Gefahr reagieren. Innenminister Thomas Strobl kündigte bereits im vergangenen Jahr an, die Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen, um öffentliche Veranstaltungen besser zu schützen. Neben einer verstärkten Polizeipräsenz gehörte dazu die Überprüfung und Anpassung bestehender Sicherheitskonzepte. Auch viele Städte und Gemeinden überprüften ihre Maßnahmen und verschärften diese entsprechend.
Die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen bleiben allerdings nicht ohne Konsequenzen. In Bietigheim-Bissingen wurden etwa das traditionsreiche Osterbrunnenfest in der Bietigheimer Altstadt sowie der Ostermarkt in Bissingen abgesagt. Grund: Die von der Stadtverwaltung neu geforderten Sicherheitsmaßnahmen – darunter sieben besetzte mobile und vier feste Fahrzeugsperren – führten für die Veranstalter zu einem „nicht tragbaren planerischen und finanziellen Aufwand“. Auch in Rheinfelden wurden Cityflohmärkte gestrichen. Die Stadt verpflichtete den Veranstalter hier ebenfalls, für Absperrungen mit sogenannten Baken zu sorgen, wodurch sich unter dem Strich die Märkte nicht mehr rechneten.
Fasnachtssaison überschattet von Anschlägen
Traditionell geht im Land die traditionelle Festsaison mit der Fasnet beziehungsweise mit dem Karneval los. Die Faschingsvereine waren meist die ersten, die im neuen Jahr mit den neuen Sicherheitsvorkehrungen umgehen mussten. Einige Vereine, wie etwa in Heidenheim, sagten die Straßenumzüge deshalb ab. Doch viele Veranstaltungen fanden dennoch statt. Beispielsweise in Stockach im Landkreis Konstanz.
Hier findet ein deutschlandweit bekanntes Fasnachtsereignis statt: das Stockacher Narrengericht, eine Tradition, die auf das Jahr 1351 zurückgeht. Alljährlich am „Schmotzige Dunschtig“ wird eine prominente Persönlichkeit aus Politik oder Gesellschaft vor das närrische Gericht geladen und humorvoll angeklagt. Neben dem Narrengericht prägen weitere öffentliche Veranstaltungen die Stockacher Fasnacht, darunter Umzüge, Bälle und das traditionelle Narrenbaumsetzen, bei dem ein geschmückter Baum als Symbol der Narrenherrschaft aufgestellt wird. Diese Vielfalt macht Stockach zu einem Zentrum der schwäbisch-alemannischen Fasnacht.
„Abriegeln wie eine Wagenburg wäre übertrieben“
„Natürlich waren auch wir durch die grauenvollen Anschläge stärker sensibilisiert“, blickt Jürgen Koterzyna auf die diesjährige Fasnachtssaison zurück. Er ist der Narrenrichter von Stockach und damit der oberste Fasnachtsvertreter der Stadt. „Man macht sich stärker Gedanken darüber, was man eventuell noch alles machen könnte, um mehr Sicherheit zu erreichen.“
Bei den Outdoor-Veranstaltungen, etwa beim traditionellen Baumsetzen und den Umzügen, seien neue Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt worden. Der Verein ließ Zufahrten sichern – unter anderem durch Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr sowie durch große Fahrzeuge des städtischen Bauhofs an zentralen Kreuzungen. Auch der Umzug sei diesmal vorne und hinten mit Fahrzeugen abgesichert worden.
„Die Initiative zu diesen Maßnahmen ist von unserer Zunft selbst ausgegangen, in enger Absprache mit Stadtverwaltung und Feuerwehr“, freiwillig, wie Koterzyna betont. Daher seien von der Stadt oder der Polizei keine zusätzlichen Zwangsmaßnahmen nötig gewesen. „Wir arbeiten super mit unserer Verwaltung und den Behörden zusammen. Die wissen, dass wir keinen Blödsinn machen, dass wir sensibel sind.“
„Vereine nicht verantwortlich für Terrorabwehr“
„Das Ziel für beide Seiten war, nicht panisch zu reagieren und alles komplett wie eine Wagenburg abzuriegeln – das wäre auch übertrieben“, unterstreicht Koterzyna. Es müsse allen klar sein, dass es keine hundertprozentige Sicherheit geben könne. Sicherheitsmaßnahmen sollten für ihn mit Augenmaß getroffen werden, sodass der Spaß für die Teilnehmenden nicht eingeschränkt werde. „Oftmals ist es doch so, dass je sichtbarer Sicherheitsmaßnahmen sind, desto unwohler fühlt man sich als Teilnehmer“, sagt er. „Das fördert natürlich den Spaß nicht übertrieben stark.“
Für den Narrenrichter dürfe es nun generell keinen Überbietungswettbewerb bei den Sicherheitsanforderungen geben. Dass manche Narrenzünfte zuletzt selbst Poller hätten anschaffen oder zusätzliches Sicherheitsmaterial organisieren müssen, sieht er kritisch. „Es kann nicht sein, dass ehrenamtlich geführte Vereine am Ende für Maßnahmen aufkommen sollen, die letztlich in den Bereich der Terrorabwehr fallen.“ Dafür seien Behörden auf Länder- und Bundesebene zuständig.
„Ich hoffe, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, sei es durch öffentliche Mittel oder durch Entlastungen bei den Vorgaben. Es darf nicht sein, dass solche Veranstaltungen an Sicherheits- oder Zuständigkeitsfragen scheitern.“
„Wir machen da schon viel, aber man muss die Lasten teilen“, betont Koterzyna. Vereine wie seiner seien gemeinnützig und ehrenamtlich tätig, vor allem planungstechnisch und kostenseitig seien solche Vorgaben daher oftmals eine große Herausforderung. Trotz der guten Zusammenarbeit mit Stadt, Polizei und Behörden müsse aus seiner Sicht der Grundsatz gelten: „Für die Sicherheit im öffentlichen Raum sollten nicht die Vereine verantwortlich sein.“
„Für uns stellt sich da schon die Frage, ob die Kommunen in solchen Fällen nicht stärker unterstützen müssten“, gibt Koterzyna zu bedenken. Aber auch andere Stellen im Land sieht er in der Pflicht – etwa das Innenministerium oder übergeordnete Behörden, die für Sicherheitsfragen und Terrorabwehr zuständig sind. „Ich weiß, dass die Kommunen klamm sind.“
Er schlägt vor, dass gezielte Fördermittel von Land und Bund bereitgestellt werden. Gerade wenn es um Maßnahmen wie mobile Fahrzeugsperren, technische Barrieren oder den Einsatz externer Sicherheitsdienste gehe. „Hier ist eine klare Finanzierungslinie nötig, um ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen wie die Fasnacht nicht in ihrer Existenz zu gefährden.“
Denn die Vereine würden bereits viel leisten, um Veranstaltungen in den Städten und Gemeinden auf die Beine zu stellen. Dabei hätten sie laut dem Narrenrichter ohnehin schon lange mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. Etwa GEMA-Meldungen selbst für Veranstaltungen ohne Eintritt, komplizierte Vorgaben aus der Veranstaltungsstättenverordnung oder die Forderung nach einem Veranstaltungstechniker, den kleinere Vereine kaum stellen können.
Zwar gehe der im vergangenen Jahr vom Verkehrsministerium veröffentlichte Leitfaden für den Straßenkarneval, der Bürokratie abbauen und Veranstaltungen erleichtern soll, für Koterzyna grundsätzlich in die richtige Richtung. In der Praxis habe er jedoch kaum Wirkung entfaltet – zumindest nicht in Stockach, wo viele der empfohlenen Verfahren, etwa Dauergenehmigungen für wiederkehrende Veranstaltungen, längst etabliert seien.
„Wenn man nun auch noch Spenden sammeln muss, um die Grundvoraussetzungen für die Durchführung einer öffentlichen Veranstaltung zu erfüllen, ist das einfach zu viel“, warnt der Narrenrichter.
Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Lebensfreude
Für ihn ist die Unterstützung bei größeren Veranstaltungen derzeit besonders aktuell. Denn die Zunft plant im kommenden Jahr große Jubiläumsevents – das Stockacher Narrengericht feiert dann sein 675-jähriges Bestehen. „Wir erwarten 5.000 Hästräger und rund 12.000 Gäste. Also wird die Einwohnerzahl von Stockach an einem Wochenende verdoppelt“, sagt Koterzyna. Damit verbunden sei ein enormer organisatorischer und finanzieller Aufwand. „Da reden wir dann über richtig große Maßnahmen: Betonsperren, Verkehrsleitsysteme, Absicherungen der Zufahrtsstraßen.“ Die zu erwartenden Gesamtkosten beziffert er auf rund 120.000 bis 130.000 Euro – „mit allem, was dazugehört.“ Schon jetzt ist für ihn klar: Ohne Unterstützung von Stadt, Kreis und Land lassen sich solche Veranstaltungen künftig kaum noch stemmen.
Deutlich wird also, es braucht ein sensibles Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Lebensfreude. Die Lebendigkeit einer Kommune und die Offenheit öffentlicher Feste dürfen nicht unter einer wachsenden Belastung jener Vereine leiden, die meist ehrenamtlich und ohne kommerzielles Interesse agieren. Gerade sie tragen mit ihrem Engagement entscheidend zum gesellschaftlichen Leben bei.
Veranstaltungen wie das Narrengericht oder das bevorstehende Jubiläums-Narrentreffen in Stockach sind schließlich nicht nur kulturelle Höhepunkte, sondern auch bedeutende Image- und Wirtschaftsfaktoren für Städte. Sie locken regelmäßig tausende Besucherinnen und Besucher an, stärken das Gemeinschaftsgefühl vor Ort und prägen das kulturelle Profil der gesamten Region – ganz zu schweigen von der wirtschaftlichen Bedeutung für Handel und Gastronomie in der Innenstadt.
„Ich hoffe, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, sei es durch öffentliche Mittel oder durch Entlastungen bei den Vorgaben. Es darf nicht sein, dass solche Veranstaltungen an Sicherheits- oder Zuständigkeitsfragen scheitern“, so Narrenrichter Koterzyna.
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Eine Checkliste, wie Kommunen öffentliche Feste sicherer machen können, lesen Sie hier: https://kommunal.de/volksfest-schock-reihenweise-absagen-wegen-terror-angst