Eine Plakatkampagne der Stadtwerke am See zur Fachkräftegewinnung
© Stadtwerk am See

Fachkräftegewinnung: Wenn der Arbeitgeber zum Bewerber wird

Der Fachkräftemangel gehört derzeit zu den größten Problemen der Kommunen. Passiv zu bleiben und abzuwarten ist keine Lösung. Beispiele vom Bodensee und aus Herrenberg zeigen, wie kommunale Unternehmen und Kommunen durch unorthodoxe Ideen und Weiterbildungsangebote auf dem Bewerbermarkt punkten können.

„Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“, „Warum haben Sie sich für uns entschieden?“, „Was sind Ihre Stärken und Schwächen?“. Jeder kennt diese und andere Fragen. Die einen, weil sie ihnen im Bewerbungsgespräch gestellt wurden, die anderen, weil sie sie vielleicht sogar selbst schon gestellt haben. Die meisten Bewerberinnen und Bewerber haben gegen diese Floskeln schon längst eine Abneigung entwickelt. Das Stadtwerk am See, der größte Energieversorger im Bodenseekreis, nimmt sie in einer Kampagne auf die Schippe – und kommt damit bei Bewerberinnen und Bewerbern richtig gut an. 

Die Stadtwerke haben sich an eine Werbeagentur gewandt

„Schluss mit dem Bewerbungs-Blabla“ heißt die Kampagne, die das Stadtwerk zusammen mit einer Münchner Werbeagentur umgesetzt hat. Die Plakatmotive bestehen aus den gängigen Bewerbungsfloskeln. Daneben sind Emojis platziert, die die Reaktionen vieler Menschen auf die Standard-Formeln wiedergeben: mit verdrehten Augen, gähnend, die Hand beschämt vors Gesicht haltend oder einfach schulterzuckend. Darunter dann die Direktansprache: „Schluss mit dem Bewerbungs-Blabla! Denn wir bewerben uns bei Ihnen!“, steht dort unter Verweis auf die Bewerbungsseite im Internet.

Kampagne zur Fachkräftegewinnung der Stadtwerke am See

Die Genese der Idee beginnt beim Wahrnehmungsgefälle zwischen Sender und Empfänger, zwischen starren Formeln und ermüdeten Reaktionen. Und sie stellt den gewohnten Prozess auf den Kopf, indem sie das Unternehmen zur Bewerberin macht, die potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten dagegen zu Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern im buchstäblichen Sinn. „Der Ansatz bildet die Realität ab, weil der Fachkräftemangel auch bei uns längst allgegenwärtig ist. Heutzutage muss man sich als Firma um Fachkräfte bemühen. Eine Bewerbung beim Bewerber ist die logische Konsequenz daraus“, erklärt Sarah Gebhard, Referentin der Unternehmenskommunikation des Stadtwerks am See, gegenüber die:gemeinde. 

Fachkräftegewinnung: Nicht die 100. "Komm in unser Team!"-Kampagne

Die Liste der unbesetzten Stellen sei immer länger geworden. Das Personalbüro sei irgendwann auf die Kommunikationsabteilung zugegangen mit der flehentlichen Bitte, etwas zu tun. Die hundertste Kampagne nach dem Motto „Komm in unser Team!“ sollte es aber gerade nicht sein. Das Ziel habe darin bestanden, sich als junges, auch innovatives Unternehmen darzustellen, und nicht das Flair eines angestaubten Stadtwerks zu versprühen. Ausgespielt wurde die Kampagne auf Großflächen, als Kinowerbung, als Radiospot, auf den großen Social-Media-Plattformen und als Anzeige in verschiedenen Kundenmagazinen. 

Dieses Plakat soll den Stadtwerken am See bei der Fachkräftegewinnung helfen.

Besonders positive Resonanz gab es für einen Radiospot. Darin ruft ein Mitarbeiter des Stadtwerks verzweifelt einen Bewerber namens „Harry“ an und drängt sich als Arbeitgeber regelrecht auf – landet aber nur auf seiner Mailbox, weil Harry ständig unterwegs ist. Was viele nicht wissen und zur Authentizität des Spots beiträgt: Hinter dem schwäbelnden Harry steckt die Stimme von Sebastian Sixt, dem Leiter der Unternehmenskommunikation. Der Radiosender hatte den Verantwortlichen des Stadtwerks die Stimmen verschiedener professioneller Sprecher vorgespielt. „Die waren zwar alle gut, aber es ging trotzdem noch nicht in die Richtung, die wir uns vorgestellt hatten. Das typisch Süddeutsche fehlte“, sagt Gebhard. Also musste der Chef ran. Der zog sich eine zeitlang in sein Büro zurück und entwickelte den „Harry“-Charakter, dessen Stimme im Spot zu hören ist.  

Kampagne hat die Bewerbungen deutlich erhöht

Doch die Kampagne konnte nicht nur Sympathiepunkte erzielen, sondern hat auch handfeste Ergebnisse geliefert. Zeitweise konnte das Stadtwerk am See die Bewerbungseingänge durch die Kampagne um ein Drittel steigern. In den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram, erwies sie sich als Volltreffer. „Da hat sie voll eingeschlagen. Das freut uns besonders, denn dort können wir genau nachverfolgen, wie oft geklickt wurde. Anders ist es bei Plakaten, wo man nie genau weiß, wie der Outcome ist“, sagt Gebhard. So habe man festgestellt, dass die Bewerberzahlen immer zu dem Zeitpunkt gestiegen seien, als auch die Kampagne in den sozialen Medien ihren Höhepunkt erreicht hatte. Besonders auf Instagram erwies sie sich als Volltreffer. „Wir haben bereits etliche Leute eingestellt, die im Bewerbungsgespräch gesagt haben, dass sie durch die Kampagne auf uns aufmerksam geworden sind“, sagt Gebhard.

Herrenberg bildet seine Fachkräfte gezielt weiter

Herrenberg hat nicht durch eine Kampagne an Attraktivität als Arbeitgeber gewonnen, sondern durch die gezielte Weiterbildung seiner Führungskräfte. Das Führungskräfteprogramm ist eingebettet in das Großprojekt „Zukunftsfähigkeit der Stadtverwaltung in Herrenberg“, das vor einigen Jahren gestartet ist und wissenschaftlich begleitet wird. Damals habe man sich als Verwaltung mehrere Ziele gesetzt – unter anderem auch jenes, „rollenklare Führungskräfte“ weiterzuentwickeln, Führungskräfte also, die wissen, was ihre Rolle beinhaltet, sagt Anja Sobkowiak, Leiterin der Personalabteilung, zu die:gemeinde. 

Von der Fachkraft zur Führungskraft

Warum ist ein solches Programm aber überhaupt sinnvoll und nötig? Sobkowiak erläutert das am Beispiel eines Ingenieurs, der in seinem Fachbereich hochqualifiziert ist. Eines Tages wird er Amtsleiter. Führungskraft also – und hat keine Ahnung, wie er die Stelle ausfüllen soll. „Das lernen Sie im Programm. Sie entwickeln ein ganz neues Selbstverständnis von Führung. Sie lernen, was es heißt, Führungskraft zu sein und was alles dazu gehört“, erklärt Anja Sobkowiak. 

Führungskräfteprogramm geht schon in die vierte Runde

Das Führungskräfteprogramm hat schon drei Durchgänge hinter sich, aktuell läuft der vierte Durchgang. Inhaltlich orientiert es sich an einem Digital-Leadership-Kompetenzprofil, das zehn Kompetenzdimensionen beinhaltet. In jedem Durchgang nehmen 20 Beschäftigte teil. Im Vorfeld legen sie Entwicklungsziele fest und definieren ein Lernprojekt. Beim Start stellen sie die Projekte vor und bilden Lerntandems. Zu Beginn des Programms steht ein 360-Grad-Feedback, bei dem sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihrem Vorgesetzten, von einer anderen Amtsleiterin oder einem anderen Amtsleiter und – wenn sie wollen – von ihrer ganzen Abteilung bewerten lassen. Auch eine Eigenbeurteilung gehört dazu. Das eigentliche Lernen findet über eine Lernplattform statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterliegen dabei keinem vorgegebenen Curriculum, sondern arbeiten zusammen mit ihren Partnern an den Schwerpunkten, die sie sich selbst gesetzt haben. 

Auch der Oberbürgermeister besucht das Führungskräfteprogramm

Wichtig: Die Teilnahme ist Pflicht und gilt auch für Oberbürgermeister Thomas Sprißler, der im ersten Durchgang dabei war. Was hat sich in Herrenberg dadurch verändert? „Unser Ziel, rollenklare Führungskräfte zu entwickeln, haben wir erreicht. Es wird jetzt gesehen, was Führung überhaupt ist und warum es wichtig ist, dass man Führungskräfte braucht“, erklärt Sobkowiak. Besonders wichtig sei der Austausch zwischen den Teilnehmenden. „Sie merken dabei, dass sie nicht allein sind. Die Probleme, die anfallen, sind oft dieselben, egal, in welchem Amt man arbeitet“, sagt Sobkowiak. Das Führungskräfteprogramm ist nicht nur Selbstzweck, sondern ein Mittel, qualifiziertes Personal zu binden und neues zu gewinnen. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ein finanzieller Anreiz allein als Motivation schnell verpufft. Sobkowiak sieht es als gezielte Investition in die Führungskräfte, aber auch in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn motivierte Führungskräfte sind wiederum in der Lage, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren. 

Führungskräfteprogramm ist gutes Argument bei Stellenausschreibungen

Die Stadt wirbt gezielt mit dem Programm, wenn sie Führungsstellen ausschreibt – und auch bei Trainee-Stellen, denn auch Trainees sowie Projektleiterinnen und -leiter, die keine disziplinarische Führungskompetenz haben, dürfen teilnehmen – eine Besonderheit im öffentlichen Dienst. „Bei den Trainees kommt das extrem gut an, alle fragen im Einstellungsgespräch danach. Uns ist es wichtig, dass Führungskräfte und Nachwuchsführungskräfte im Programm miteinander lernen und in den Austausch gehen“, sagt Sobkowiak.