Car-Sharing auf dem Land ist nirgendwo so erfolgreich wie in Baden-Württemberg.

Car-Sharing-Angebot im ländlichen Raum wächst

9. Oktober 2020
Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Car-Sharing-Angebote auf dem Land wie in Baden-Württemberg. Und die Zahl der angeschlossenen Kommunen steigt. Doch Anbieter benötigen einige Unterstützung, um sich etablieren zu können.

Text: Uwe Roth

Die Menschen im Land und besonders die Schwaben haben den Ruf, großen Wert aufs eigene Auto und dessen Pflege zu legen. Wie so oft, ist auch das Bild vom überzeugten Autobesitzer nur die halbe Wahrheit. Denn in Baden-Württemberg teilen immer mehr Bürger gerne mit anderen, was sie nicht täglich benötigen. Dazu gehören Autos. Baden-Württemberg führt mit 285 Car-Sharing-Orten die Liste der 16 Bundesländer sogar an. Der Spitzenplatz gilt nicht allein den großen Städten oder den Ballungszentren, in denen Abhol- und Rückgabestationen ins Stadtbild gehören. 

Car-Sharing in Deutschland und Baden-Württemberg.

Im Bundesvergleich ist in Baden-Württemberg vor allem das Angebot im ländlichen Raum herausragend. Knapp 200 der 285 Car-Sharing-Orte zählen weniger als 20.000 Einwohner. Somit hat jede fünfte Stadt oder Gemeinde dieser Größenordnung Stellplätze für Mietfahrzeuge. Im Vergleich: Deutschlandweit liegt der Anteil weit unter 20 bei mageren 4,3 Prozent. Der Bundesverband Car-Sharing lobt: „Wie in kaum einem anderen Bundesland hat sich hier das Car-Sharing in kleineren Städten und im ländlichen Raum etabliert.“

Car-Sharing hat es im ländlichen Raum schwerer

Auf den ersten Blick erstaunt die hohe Akzeptanz eines Car-Sharing im ländlichen Raum: In kleineren Kommunen kann es maximal eine Station geben. Die Teilorte liegen unter Umständen weit auseinander. Wegen der großen Entfernungen und Lücken im ÖPNV-Angebot haben die meisten Haushalte zwei oder mehr Fahrzeuge, auf die eine Familie ungern verzichtet. Solche Umstände sprechen gegen den Erfolg eines Car-Sharing, das auf eine gewisse Auslastung der Mietfahrzeuge angewiesen ist, um auch Geld für die Neuanschaffung von Fahrzeugen zu erwirtschaften. 

Das Interesse an Car-Sharing auf dem Land steigt

„Doch die Bereitschaft wächst, ein Auto in der Familie abzugeben und stattdessen Mitglied beim Car-Sharing zu werden“, sagt Anita Gaiser. Sie ist Projektmanagerin bei teilAuto Neckar-Alb in Tübingen und betreibt gezielt Akquise in den kleineren Städten und Gemeinden rund um die Universitätsstadt. „Wir haben sehr früh die Fühler in den ländlichen Raum ausgestreckt“, erklärt sie. Das sei vor fünf Jahren in der Genossenschaft eine strategische Entscheidung gewesen.

Erfolgsfaktoren für einen Car-Sharing-Standort

Ihre Bemühungen tragen bereits Früchte. Manche Orte liegen auf der Schwäbischen Alb – weit entfernt von der nächsten Stadt. Die Expansion ist allerdings kein Selbstläufer. Die Übergabe einer neuen Station ist aus ihrer Sicht das Ergebnis dreier Faktoren, die gemeinsam zum Erfolg führen: Ein Anbieter muss das Gespräch mit möglichen Partnern vor Ort suchen. Das braucht nicht gleich die Gemeinde sein, Vereine oder Bürgerarbeitskreise kommen ebenfalls in Frage. Doch ohne Unterstützung der Kommune geht es nicht: „Der Gemeinderat und die Verwaltung müssen positiv fürs Car-Sharing werben. Sie müssen es sich zur eigenen Sache machen“, sagt sie. Die kommunale Unterstützung beginnt bei Sachleistungen, wie kostenfrei eine Fläche für die Stellplätze zur Verfügung zu stellen. Diese dürften nicht am Ortsrand bei der Freiwilligen Feuerwehr oder auf den Parkplätzen am entfernten Sportgelände sein, sondern möglichst zentral im Ortskern. Ein Fahrradabstellplatz und eine Bushaltestelle in der Nähe seien weitere Vorteile, um die Akzeptanz sicherzustellen. Eine Unterstützung sollte – wenn notwendig - finanzieller Art sein, sagt sie. So habe der Gemeinderat der Stadt Urach (Landkreis Reutlingen) beschlossen, den Anbieter aus dem 30 Kilometer entfernten Tübingen über mehrere Jahre finanziell zu unterstützen, bis sich dieser in der Stadt wirtschaftlich etabliert hat. 

Interesse an Car-Sharing und Klimaschutz auf dem Land eng verbunden

„Wenn ein Anbieter wegen fehlender Rentabilität den Standort wieder schließen muss, kommt er so schnell in den Ort nicht wieder zurück“, stellt Projektmanagerin Gaiser fest. Ein Car-Sharing-Angebot verbessere die Attraktivität einer ländlichen Kommune, sagt sie. Das wüssten immer mehr jüngere Familien zu schätzen. „Inzwischen kommen die Bürgermeister auf uns zu. Ortsvorsteher sind mittlerweile sehr aktiv.“ Doch kein Erfolg ohne den dritten Faktor: das Interesse der Bewohner. Bei den Nutzern beobachtet Gaiser ein besonderes Engagement für den Umweltschutz. Der Verzicht aufs eigene Auto sei auf dem Land viel herausfordernder als in der Stadt. Umso größer ihr Respekt, auf diese Weise auf den Klimawandel zu reagieren. „Unsere Kunden nehmen zum Teil einiges auf sich, um aufs eigene Auto verzichten zu können“, beobachtet sie. Das heißt, sie fahren mehrere Kilometer mit dem Fahrrad bis zur Übergabestation oder kommen mit dem Bus dorthin. In der Stadt werde eine Station mit maximaler Entfernung von 500 Metern erwartet.

"Gewinne machen kann man im ländlichen Raum nicht"

Nicht alle Anbieter sprechen über das Entwicklungspotenzial so optimistisch wie die Tübinger Genossenschaft. Von einer maximal maßvollen Expansion spricht Miriam Carol von Stadtmobil Rhein-Neckar mit Sitz in Mannheim. Im Umkreis von bis zu 60 Kilometern gibt es Stationen – zahlreiche im ländlichen Raum. „Wir sind aktuell in 28 Kommunen aktiv, davon vier größere Städte, und bauen jedes Jahr aus.“ Doch sie schränkt ein: „Geld verdienen, also Gewinne machen, kann man im ländlichen Raum nicht“, stellt sie aus der Erfahrung von Stadtmobil klar. Man könne „mit langem Atem und starken Partnern irgendwann eine Kostendeckung erreichen“. Als Unternehmen sollte man Durststrecken gut aushalten können. Die Corona-Krise habe den ländlichen Stationen besondere Einbußen gebracht. Die müssten über Einnahmen aus den städtischen Stationen ausgeglichen werden. Alleine schafften es die Stationen außerhalb der Ballungszentren nicht.

ÖPNV-Angebot beeinflusst die Nutzung des Car-Sharing

Um Kostendeckung zu erreichen, benötigt man aus ihrer Sicht „im Ort das bestmögliche ÖPNV-Angebot, Partner, die auch ideell unterstützen und eine gewisse Zahl Autos, die aber nur langsam und mit der Nachfrage nach und nach heranwachsen kann“. Bei der Wahl der Stationen orientiert sich Stadtmobil an den Grundsätzen des ÖPNV: Laufweite zur Haltestelle/Station sollte 400 Meter nicht überschreiten. Man könne bei der Akzeptanz ein bisschen tricksen, sagt sie, indem man die Orte gut wähle und auf eingängige, gut beleuchtete Wege achte. Ihre Bilanz ist aus Sicht des Anbieters allerdings ernüchternd: „In Gemeinden unter 20.000 Einwohnern halten wir es für sehr schwierig, sich überhaupt an die schwarze Null anzunähern.“ 

Wie Kommunen Car-Sharing-Anbieter unterstützen

Es gebe „unzählige Anfragen“, antwortet Carol auf die Frage nach dem Interesse der Kommunen. „Meistens aus der Haltung heraus, dass wir unbedingt expandieren und natürlich die damit einher gehenden Verluste selbst tragen sollen“, wehrt sie ab. „Da wir uns nicht ruinieren wollen, können wir das so nicht machen.“ Wenn Stadtmobil eine Kommune neu erschließe, spreche das Unternehmen diese an und verhandele über konkrete Unterstützung: Das könne im Marketing sein oder indem die Kommune selbst für Dienstfahrten die Car-Sharing-Autos nutze. Schon das sei „unglaublich zäh, weil Dienstfahrten im Privat-PKW durch die Kilometerpauschale ebenfalls attraktiv sind“. Darüber hinaus können Kommunen bei Stadtmobil ein sogenanntes Bestelltes Car-Sharing „kaufen“. In dem Fall übernimmt der Besteller das komplette wirtschaftliche Risiko für mehrere Jahre, „und wir können binnen weniger Monate ein Car-Sharing-Angebot bereitstellen“.

Betriebsmodelle für den ländlichen Raum

Aus der Sicht des Bundesverbands Car-Sharing in Berlin „gibt es mehrere Betriebsmodelle, die es erlauben, Car-Sharing auch im ländlichen Raum langfristig erfolgreich zu machen“, so eine Sprecherin. In den seltensten Fällen sei Car-Sharing im ländlichen Raum „aber ein von sich selbst heraus wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell“. Meistens steckten in den Angeboten Fördergelder, Zuschüsse von Kommunen oder viel ehrenamtliche Arbeit von Car-Sharing-Vereinen. Ihr Fazit: „Es gibt Wachstumspotenzial. Die Angebote werden stetig, aber sicherlich eher langsam steigen.“