Belebte Ortsmitten statt Donut-Effekt
Innenentwicklung bringt für Kommunen ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich: Leerstände und Baulücken müssen zuerst einmal erhoben werden. Dann stellt sich die Frage nach den Eigentümerinnen und Eigentümern und deren Willen, mit der Stadt oder Gemeinde an einem Strang zu ziehen. Grundstücke im Innenbereich haben außerdem bereits ihre eigenen Zuschnitte und Gegebenheiten, auf die die Planung weniger Einfluss nehmen kann als im Außenbereich.
Vorteile der Innenentwicklung gegenüber der Außenentwicklung
Wenn sich Kommunen an die Innenentwicklung heranwagen, bietet sie allerdings auch Chancen, die die Außenentwicklung nicht hat: Sie kann Ortskerne neu beleben, Quartiere miteinander verbinden und so die Lebensqualität in der gesamten Stadt oder Gemeinde erhöhen. Darüber hinaus spart sie Flächen und Ressourcen. Es müssen weniger Hauptverkehrsstraßen, lange Wasser- und Abwasserleitungen und andere größere infrastrukturelle Maßnahmen umgesetzt werden.
Beispiele für erfolgreiche Innenentwicklung
Ende der 90er Jahre hat Neuhausen auf den Fildern aus einem ehemaligen Bauernhof mitten in der Gemeinde eine Wohnanlage für betreutes Wohnen inklusive Bürgertreff gemacht. Noch heute ist die Anlage stark nachgefragt und der Bürgertreff sorgt für ein hohes Maß an Gemeinschaftsgefühl. Schorndorf hat 2019 eine Flächenmanagerin eingestellt, um gegen Leerstände zu kämpfen und Baulücken zu schließen. In den ersten beiden Jahren konnten so bereits 55 der damals insgesamt 226 Baulücken bebaut werden. Die Leerstände gingen in der gleichen Zeit von 250 auf 158 zurück.
Das Förderprogramm "Flächen gewinnen durch Innenentwicklung"
Um den Innenausbau zu fördern hat das Land Baden-Württemberg das Förderprogramm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ geschaffen. Ziel des Programms ist es, innerörtliche Flächen, wie Baulücken und Brachflächen und bestehende Leerstände sowie Aufstockungs- und Nachverdichtungspotenziale zu aktivieren. Gefördert werden innovative Konzepte, städtebauliche Entwürfe, Projekte, die die Bürgerinnen und Bürger an der Innenentwicklung beteiligen und das Einstellen kommunaler Flächenmanagerinnen und -manager. Förderung beantragen können Städte, Gemeinden, Gemeindeverwaltungsverbände, Landkreise, Zweckverbände und Träger der Regionalplanung. Im vergangenen Jahr hat das Land über das Förderprogramm vier Flächenmanagerinnen beziehungsweise Flächenmanager und 28 weitere Maßnahmen gefördert.
Schutterwald geht auf Eigentümerinnen und Eigentümer von Schlüsselgrundstücken zu
Eine der geförderten Gemeinden ist Schutterwald im Ortenaukreis. Für das Projekt „Schutterwald ergänzt“ hat die Gemeinde knapp 46.000 Euro aus dem Fördertopf erhalten. In Zusammenarbeit mit einem Planungsbüro sollen nun Flächen im Inneren entwickelt werden. „Wir konnten nach einer breit angelegten Bürgerbeteiligung im ersten Schritt acht Potenzialflächen ermitteln“, erzählt Bürgermeister Martin Holschuh. „Doch damit diese auch entwickelt werden können, müssen alle an einem Strang ziehen – Kommune, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen beziehungsweise Investoren.“ Herauszufinden, ob ein gemeinsames Vorgehen möglich ist, bedeutet viel Arbeit. In Schutterwald hat das Planungsbüro zunächst einen Fragebogen an alle Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken auf den Potenzialflächen verschickt. „Es gibt jeweils Schlüsselgrundstücke, die wir in jedem Fall brauchen, um mit der Planung zu beginnen“, erklärt Bürgermeister Holschuh. „Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass bei vier der acht Potenzialflächen zumindest in Teilen Möglichkeiten für eine Entwicklung bestehen.“ In Zweifelsfällen ist man auf die Eigentümerinnen und Eigentümer der Schlüsselgrundstücke zugegangen, um das weitere vorgehen in Einzelgesprächen zu klären. „Bei einem der Gebiete gehören uns die meisten Flächen“, sagt Martin Holschuh. „Dass wir dieses entwickeln können, ist also schon gesichert. Bei den anderen drei laufen die Gespräche noch.“
Bürgermeister Holschuh: Innenentwicklung gibt der Gemeinde die Möglichkeit viel selbst zu gestalten
Holschuh setzt große Hoffnung in die Innenentwicklung. In einem Baugebiet aus dem Jahr 2018 gebe es zwar noch ein paar freie Plätze, die würden die Nachfrage jedoch nicht mehr lange stillen. „Und die Entwicklung von neuen Bauplätzen ist heute sehr langwierig“, gibt er zu bedenken. Der Impuls im Inneren systematisch weiterzuentwickeln, kam durch Bürger- und Investorenanfragen. „Wir haben vorher kein Konzept für die Innenentwicklung gehabt“, sagt Holschuh. „Es hatte zuvor in der Gemeinde aber schon einige kritische Diskussionen zum Ausweisen neuer Flächen gegeben. Und eine generelle Debatte, ob man neue Flächen ausweisen soll oder nicht. Der Impuls durch das Förderprogramm kam also genau zur richtigen Zeit.“ Schnell hat Martin Holschuh Gefallen an der Innenentwicklung gefunden: „Über ein Innenentwicklungskonzept bekommen wir als Kommune die Möglichkeit vieles selbst zu gestalten. So können wir die Lebensqualität hoch halten und Grünräume schützen.“
Biberach an der Riß beschäftigt sich schon lange mit der Innenentwicklung
In Biberach an der Riß ist die Innenentwicklung – schon allein aufgrund der Größe der Stadt – bereits seit langem ein Thema. Im Stadtentwicklungskonzept aus dem Jahr 2015 hatte sich die Stadt den Grundsatz eingeschrieben: Innen- vor Außenentwicklung. Schon damals wurden konkrete Flächen benannt. Diese werden nach und nach angegangen, je nachdem, wo die Möglichkeit einer Neuordnung entsteht. 2018 hat die Stadt ein Gesamtkonzept für das Bahnhofsumfeld bei einem Planungsbüro in Auftrag gegeben. Zum städtebaulichen Rahmenplan, der 2020 vom Gemeinderat verabschiedet wurde, gehörte unter anderem das Rißquartier, das nun mithilfe der Förderung aus dem Programm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ entwickelt wird.
Baubürgermeister Kuhlmann: Dadurch, dass es nur einen Eigentümer gibt, sind die Abstimmungen leichter
„Es handelt sich um eine gewerblich geprägte, schlecht beziehungsweise wenig genutzte Fläche“, sagt Christian Kuhlmann, Baubürgermeister der Stadt Biberach an der Riß. Der Vorteil in diesem Gebiet: „Die Flächen werden von den Stadtwerken und dem Energieversorge e.wa-riss gemeinsam genutzt.“ Langwierige Verhandlungen mit verschiedenen Eigentümerinnen und Eigentümern seien daher nicht notwendig. Die Machbarkeitsstudie, die zeigen sollte, welche Potenziale die Fläche bietet, hat die Stadt zum Teil über die 12.500 Euro finanziert, die sie aus dem Förderprogramm bekommen hat. Den Rest hat sie aus eigenen Mitteln gezahlt. Ein Planungsbüro hat ein Konzept mit drei Varianten erstellt. „In jedem Fall geht es um eine dichte Bebauung mit entweder drei- bis fünfstöckigen oder sechsstöckigen Gebäuden“, sagt Baubürgermeister Kuhlmann. „Je nach Variante können wir so bis zu 150 neue Wohnungen schaffen.“ Eines der Konzepte habe außerdem einen großen Mehrwert für die ganze Stadt: „Es verbindet das Rißquartier auf der Westseite mit der Innenstadt und auf der Ostseite mit einem Naherholungsgebiet, das wir derzeit durch Renaturierungen noch weiter aufwerten. Durch das Konzept wäre eine Brücke von der Innenstadt über das Rißquartier bis hin zum Naherholungsgebiet geschlagen.“
Christian Kuhlmann ist von den Chancen, die die Innenentwicklung bietet überzeugt. Er ist sich allerdings auch sicher: „Wir können nicht alle Bedarfe über die Innenentwicklung abdecken. Biberach entwickelt sich sehr dynamisch. Wir haben immer wieder Zuwächse bei den Arbeitsplätzen und damit drängt es auch die Interessenten in unsere Stadt. Der Zuwanderungsdruck ist hoch.“
Mühlhausen sieht Potenzial in großen Grundstücken
In der Gemeinde Mühlhausen ist der Zuwanderungsdruck ebenfalls zu spüren. Daher hat sich die Gemeinde ebenfalls auf das Förderprogramm beworben und ist mit knapp 43.500 Euro gefördert worden. Auch die Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis hat die Potenziale im Inneren von einem Planungsbüro ermitteln lassen. Während Mühlhausen kaum Leerstände hat, gibt es einige unbebaute Grundstücke in allen Teilorten. Diese versucht die Gemeinde nun entweder zu akquirieren oder die Eigentümerinnen und Eigentümer zum Bau zu bewegen. Doch im Rahmen der Erhebung sind auch weitere Potenziale ermittelt worden: Denn in der Gemeinde gibt es so einige Gebäude mit teils sehr großen Grundstücken, die nur von ein bis zwei Personen bewohnt werden. „Wir möchten mit den Eigentümerinnen und Eigentümern darüber sprechen, ob eine Bebauung in zweiter Reihe denkbar wäre“, erzählt Bürgermeister Jens Spanberger.
Fluorn-Winzeln will Kontakt mit Erbengemeinschaften aufnehmen
In eine ähnliche Richtung geht es auch in der Gemeinde Fluorn-Winzeln, deren aktives Flächenmanagement mit knapp 37.000 Euro gefördert wurde. Da die Gemeinde stark landwirtschaftlich geprägt ist, stehen an der Hauptstraße viele große Grundstücke mit Schuppen und Scheunen, die – ähnlich wie in Mühlhausen – nur von ein bis zwei Personen bewohnt werden. Die Gemeinde überlegt nun an verschiedenen Optionen, hier weiteren Wohnraum zu schaffen. „Wir könnten uns vorstellen in Kontakt mit den potenziellen Erbinnen und Erben zu treten, um das Interesse der Gemeinde oder gegebenenfalls eines Investors frühzeitig anzumelden“, sagt Bürgermeister Rainer Betschner. Das sei aus der Erfahrung wichtig, denn Erbengemeinschaften hätten in der Vergangenheit schon mehrfach für Leerstände gesorgt. Eine andere Option, die die Gemeinde bespricht: „Wir könnten den aktuellen Bewohnerinnen und Bewohnern der Grundstücke Pläne für eine moderne Bebauung mit mehreren Parteien vorlegen und ihnen eine Wohnung im Neubau anbieten“, so Bürgermeister Betschner. Aus seiner Sicht brauche es dringend mehr Mietwohnungen. „Viele Familien können sich das Einfamilienhaus im Grünen nicht mehr leisten. Und auch gerade Jugendliche und ältere Menschen suchen nach Mietwohnungen.“