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Warum Jugendliche Mobilität vor Ort mitgestalten sollten – und wie

16. April 2023
Im Gastbeitrag erklären Stefan Lenz, Geschäftsführender Vorsitzender des Vereins Postillion e.V. - Kinder- und Jugendhilfe im Rhein-Neckar-Kreis, und Projektmitarbeiterin Jessica Simeth, warum der ÖPNV Jugendliche im ländlichen Raum nicht nur mobil macht, sondern auch für die gesellschaftliche Teilhabe Bedeutung hat. Hintergrund ist ein dreijähriges Pilotprojekt in Wilhelmsfeld, in dem die Jugendbeteiligung entwickelt und ausprobiert werden konnte.

Drei Jahre (2019-2022) konnte der Postillion e.V. in Wilhelmsfeld (Baden-Württemberg) Jugendbeteiligung im ÖPNV entwickeln und ausprobieren. Das Modellprojekt Jugendliche Mobilität im ländlichen Raum, gefördert vom Bundeministeriums für Ernährung und Landwirtschaft kam zustande, da der Postillion e. V. seit dem Jahr 2016 jährlich eine Bedarfsabfrage bei Jugendlichen im Rhein-Neckar-Kreis durchführt. Mobilität war ein häufiges Thema. Der ÖPNV ist für die Jugendlichen der Mobilitätsfaktor schlechthin, wo ein Fahrradverkehr schwierig ist, da die Distanzen zu weit und die Strecken zu bergig sind.

Jugendbeteiligung stärkt Identifikation mit dem Ort

Gleichzeitig ist dieser Sektor sehr stark über das Europarecht (Ausschreibungspflicht) reglementiert. Dies führt zu einem Mangel an Flexibilität, der konträr zu den Interessen der Jugendlichen ist. Aber: Jugendbeteiligung im ÖPNV stärkt die Identifikation der Jugendlichen mit ihrem Ort, sie lernen sehr praktisch, sich für ihre und die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger einzusetzen, auch Erfolge und Misserfolge zu erleben, sie lernen, wie der Staat und die Demokratie funktioniert. Mobilität ist für Jugendliche die einzige Form der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Konzept aus fünf Pfeilern

Wir würden ein Konzept aus fünf Pfeilern begrüßen, die aus unserer Sicht für das Gelingen unumgänglich sind:

  • Mit Jugendlichen gemeinsam ist es möglich, ein Mobilitätskonzept für die Kommunen zu entwickeln (Jugendliche sind Expertinnen und Experten für Mobilität).
  • Veränderung braucht engagierte, erwachsene Personen in der Bevölkerung und bei Entscheidungsträgern.
  • Die Nahverkehrsbranche muss das Thema Jugendbeteiligung für sich entdecken – Jugendhilfeplanung und Nahverkehrsplanung müssen miteinander verzahnt werden.
  • Jugendbeteiligung sollte in Fragen der Mobilität interkommunal und anlassbezogen erfolgen.
  • Die Mobilitätsplanung muss zusätzlich datenbasiert gegengelesen werden: Mit Hilfe des DB-Unternehmens Ioki konnten wir vorhandene Daten sehr gut für eine Mobilitätsplanung nutzen und den bestehenden ÖPNV auch auf Basis von Bewegungsdaten auf die Probe stellen.

Praxisbuch stellt konkrete Beispiele aus dem Projekt vor

Das Modellprojekt hatte keine wissenschaftliche Begleitung. Es konnte also nicht nachgewiesen werden, dass diese Maßnahmen zu einer tatsächlichen Veränderung des Mobilitätsverhaltens geführt haben. Für künftige Projekte wird zu definieren sein, wie Teilziele der Veränderung des Mobilitätsverhaltens oder signifikante Unterschiede nachzuweisen sind. Wobei die Ziele vorher ausgehandelt und formuliert werden müssen. Das Praxisbuch stellt das Konzept vor und unterlegt es mit konkreten Beispielen aus dem Modellprojekt. Zwei Filme dazu sind öffentlich abrufbar:

  1. Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung: Jugendliche Mobilität im ländlichen Raum (2021). 
  2. Philip Kuhne: Jugendbeteiligung beim Thema Mobilität (2022).

Das Buch: Jugendliche gestalten den ÖPNV von Stefan Lenz | Jessica Simeth | Postillion (Herausgeber), 88 Seiten, Hardcover, Verlag Hirnkost Berlin, ISBN: 978-3-949452-87-1; April 2023