Digitale Bürgerbeteiligung kann Politikferne besser erreichen.
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Mehr Rückmeldungen durch digitale Umfragen

Einige kommunale Fragen liegen nah an der Lebensrealität der Bürger: Wie soll das Neubaugebiet aussehen? Wo wird das Jugendzentrum gebaut? Wie kann man die Lärmbelastung verringern? In diesen Fällen geben Städte und Gemeinden ihren Bürgern häufig die Möglichkeit mitzuentscheiden. Dabei haben einige Kommunen positive Erfahrungen mit digitalen Beteiligungsformen gemacht. Doch es gilt auch Besonderheiten zu beachten.

In den meisten Kommunen ist Bürgerbeteiligung in bestimmten Bereichen längst zur Normalität geworden. In Friedrichshafen etwa werden bei Stadtentwicklungsprozessen regelmäßig auch die Bürger befragt – Wenn sich Quartiere verändern sollen oder wenn ein Neubeugebiet geplant ist. Dabei wird vor jeder Beteiligung erst einmal die sinnvollste Beteiligungsform ermittelt. „Wie wir vorgehen hängt zum Beispiel von der Zielgruppe und unserem Gestaltungsspielraum ab“, weiß Alexandra Eberhard von der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Friedrichshafen. „Soll zum Beispiel ein bestimmter Spielplatz neugestaltet werden, habe ich eine ganz spezifische Zielgruppe – die Anwohner und Eltern, deren Kinder den Spielplatz besuchen möchten. Wird ein neuer Kulturentwicklungsplan oder ein Klimaanpassungskonzept erarbeitet, ist dagegen potentiell jeder Einwohner Teil der Zielgruppe.“

Digitale Bürgerbeteiligung ist niederschwellig

Nach dieser Analyse richtet sich die Form der Beteiligung. Etwa ob sie digital, in Präsenz oder aus einer Mischung von beidem abgehalten werden soll. Dabei wird die Form der digitalen Bürgerbeteiligung immer wichtiger für die Kommunen. Sie hat das Potential eine hohe Beteiligung zu erzielen, weil der Zugang sehr niederschwellig ist. Mit einer Internetverbindung und einem Endgerät können sich die Bürger an Umfragen schnell, orts- und zeitunabhängig beteiligen.

Digitale Bürgerbeteiligung hat in Friedrichshafen bereits Tradition.
"Sag's doch" und "Mach mit!" ermöglichen in Friedrichshafen Anliegen zu formulieren, die Vorhabenliste anzusehen und an Umfragen teilzunehmen.

In Sachen digitale Bürgerbeteiligung hat die Stadt Friedrichshafen schon früh Erfahrungen gesammelt. Etwa mit einem Portal, das Bürgern die Möglichkeit gibt, Ideen zu äußern und an Umfragen teilzunehmen. Das Portal ist in die zwei Bereiche „Sag’s doch“ und „Mach mit!“ eingeteilt. Mit „Sag’s doch“ haben die Bürger eine einfache Möglichkeit Anregungen an die Stadt weiterzugeben. Dazu können sie auf einer Stadtkarte einen Pin setzen und kommentieren, was ihrer Ansicht nach dort passieren sollte. So hat die Stadt den üblichen Mängelmelder weiterentwickelt. Jährlich gehen über „Sag’s doch“ in Friedrichshafen durchschnittlich 1.500 Anliegen ein. Im Bereich „Mach mit!“ finden die Bürger zum einen die Vorhabenliste der Stadt und zum anderen laufende und abgeschlossene Beteiligungsprojekte. Dazu gehören Umfragen, aber auch Aufrufe sich mit eigenen Ideen und Tipps einzubringen.

Während man in Friedrichshafen vorübergehend eine App zur Bürgerbeteiligung ausprobiert hatte, setzt man nun auf eine responsive Webseite. Mit einer neuen Web-App startet derweil Radolfzell ein neues Kapitel der Bürgerbeteiligung in der Stadt. So sollen Bürger an zukunftsweisenden Entwicklungen der Kommune beteiligt werden. Mehrfach im Jahr sind Umfragen zu aktuellen Themen geplant. Beteiligen können sich alle Radolfzeller ab 16 Jahren. Sie erhalten von der Stadt einen Registrierungscode. Die Web-App ist kostenlos und die Umfragen anonymisiert.

Wir hoffen, dass sich durch den unkomplizierten und schnellen Ablauf viele Bürger an den Abstimmungen beteiligen und wir auch einen Anreiz geschaffen haben für Menschen, die sich bisher nicht im Rahmen der klassischen Bürgerbeteiligung eingebracht haben. Wir haben zwar bereits ein hohes Bürgerengagement in unseren zahlreichen Beteiligungsprozessen. Wir freuen uns jedoch, wenn wir über die App ein noch breiteres und repräsentativeres Stimmungsbild erhalten.

Martin Staab, Oberbürgermeister von Radolfzell

Oberbürgermeister Staab über digitale Bürgerbeteiligung

Derzeit steht die 30.000-Einwohner-Stadt noch am Anfang, doch bei einer ersten Umfrage zu digitalen Dienstleistungen der Verwaltung beteiligten sich bereits rund 1.000 Bürger. „In Zeiten von weitreichenden infektionsschützenden Maßnahmen ist es eine wichtige Ergänzung bestehender Formate, das wurde uns auch immer wieder aus der Bürgerschaft signalisiert.“, so Staab. Die Rückmeldungen zur neuen App seinen bisher sehr positiv ausgefallen.

200-2.500 Teilnehmer an den digitalen Umfragen

Bei den digitalen Bürgerbeteiligungen ist die Menge der Rückmeldungen stark schwankend. Das weiß man auch in Friedrichshafen: Zwischen 200 und 2.500 Rückmeldungen hat die Stadt auf ihre digitalen Umfragen bisher erhalten. Und bei der Auswertung gilt es vorsichtig zu analysieren. Als die Stadt etwa eine Umfrage startete, um zu entscheiden, ob auf dem Platz vor der Universität weiterhin kostenfreie Parkplätze vorgehalten werden sollen oder der Platz anderweitig genutzt werden soll, beteiligten sich hauptsächlich Studenten, die gerne weiter kostenlos parken wollten. Die Stadt hat deshalb weitere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung herangezogen. „Man muss immer einen Blick darauf haben, wie repräsentativ die Ergebnisse einer digitalen Bürgerbefragung sind“, mahnt auch Eberhard.

Alternative Möglichkeiten zur Befragung der Jugend

Außerdem: Nicht alle Alternsgruppen nutzen die Webseite zur Bürgerbeteiligung gleich häufig. „Es sind weniger die Älteren, sondern eher die Jugendlichen, die sich wenig an der Plattform beteiligen.“ Deshalb geht die Stadt auch andere Wege, wenn sie Projekte umsetzt, die für Jugendliche besonders interessant sind. So wurde etwa vor drei Jahren der Skatepark neu geplant. Mit Flyern hat die Stadt die Jugendlichen dazu aufgerufen, per WhatsApp Ideen und Wünsche zu äußern. Das hatte großen Erfolg. Die Jugendlichen haben der Stadt per Kurznachricht geschrieben, welche Geräte sie sich wünschen oder auch Bilder von Skateparks geschickt, die ihnen gut gefallen. „Wir müssen uns da immer wieder neu anpassen, wenn wir eine rege Beteiligung haben wollen“, sagt Eberhard. Die Beteiligung der Jugend ist seit Novellierung der Gemeindeordnung Baden-Württemberg verpflichtend. Eine gute Einbindung beschäftigt daher alle Kommunen.

Eine eigene App zur Jugendbeteiligung hat die Gemeinde Amtzell seit Ende 2019 in Gebrauch.

Wir haben lange diskutiert, was die beste Beteiligungsmöglichkeit für Jugendliche sein könnte. Ein Jugendgemeinderat schien uns bei unserer kleinen Gemeinde mit ländlicher Struktur nicht realistisch. Deshalb haben wir Jugend-Hearings durchgeführt und da kam die Idee auf eine eigene App zur Beteiligung anzubieten.

Clemens Moll, Bürgermeister von Amtzell

Clemens Moll über digitale Bürgerbeteiligung für junge Leute

Für die Bürgerbeteiligung im Allgemeinen hat die Gemeinde schon länger eine App. Doch die Jugendlichen haben sich hier nur wenig beteiligt. In den Hearings wurde klar, dass sie sich eine eigene, losgelöste Beteiligungsmöglichkeit wünschen. Auch hier zeigte sich, dass die digitale Einbindung der Jugendlichen schwieriger ist, als die Einbindung der älteren Bürger. „Als Bürgermeister bin ich oft auf 80. Geburtstagen und Sie können sich nicht vorstellen wie oft mir die Senioren auf ihren Smartphones oder Tablets stolz die Bürger-App vorführen“, erzählt Moll.

Jugendbeteiligungs-App in Amtzell
Amtzell arbeitet mit einer Jugendbeteiligungs-App

Um eine App für die Jugend zu realisieren, hat die Gemeinde die Firma, die auch die Gemeinde-Webseite betreut, um die Programmierung gebeten. Die Gesamtkosten für die App lagen bei 10.700 Euro. Aus der Landesförderung konnten 4.522 Euro gezahlt werden. Zur Finanzierung konnte Amtzell Geld aus dem Förderwettbewerb „Gemeinden, Städte und Landkreise 4.0 – Future Communities 2019“ nutzen. „Wir hatten zu der Zeit einen Bufdi an der Schule, der sich auch dafür engagiert hat“, erinnert sich Moll. „Er hat die App mit Leben gefüllt. Ohne dieses Engagement hätten sich die Jugendlichen sicherlich nicht so sehr für die App interessiert.“ Und das Interesse an der App war bei den Jugendlichen schnell hoch. 2019 wurde die App 110 Mal runtergeladen, 2020 kamen 67 neue Nutzer hinzu. Bei einer Gemeinde mit knapp 3.800 Einwohnern eine gute Quote. Und auch die Beteiligung an den Umfragen bewertet der Bürgermeister als zufriedenstellend. Die Gemeinde hat die App etwa bei den Fragen, wo der neue Skaterpark errichtet werden soll oder wie der Bikepark aussehen soll, genutzt. Und eine Abstimmung über die Filmauswahl für das Open-Air-Kino realisiert. In den letzten Monaten ist die App in den Hintergrund getreten. „Wir haben zwar wieder einen Bufdi, aber da der Bedarf im Moment bei Notbetreuung und Home-Schooling liegt, fehlen derzeit die Kapazitäten“, bedauert Moll. „Wie hoffen aber bald wieder mit mehr Energie an die Jugendbeteiligung gehen zu können.“