Wie geht es mit der Orientierungsstufe an der Realschule weiter?
© Adobe Stock

Warnung der Lehrer:innen - Wie können wir die Realschule reformieren?

Die Realschulen als Sammelbecken - Dieses Bild macht eine aktuelle Umfrage des VBE auf. Realschullehrerinnen und -lehrer fordern das Ende des Hauptschulabschlusses auf der Realschule. Das Kultusministerium und einige Landtagsparteien stimmen der Kritik der Lehrerinnen und Lehrer zu.

Eine Umfrage der Gewerkschaft VBE, an der sich 721 Realschullehrerinnen und -lehrer beteiligt haben, hat die Landespolitik in Zugzwang gebracht. Die Orientierungsstufe und die Möglichkeit einen Hauptschulabschluss auf der Realschule zu erwerben, werden von fast allen Befragten kritisch gesehen. Bei der Vorstellung der Ergebnisse auf der Landespressekonferenz sagt der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand: "Große Schwierigkeiten sehen sie in den Bereichen der Orientierungsstufe, des G-Niveaus und des Hauptschulabschlusses. Und sie machen eines unmissverständlich klar: Ein ‚Weiter so‘ kann es nicht geben.“

Was ist die Orientierungsstufe an der Realschule?

Seit dem Schuljahr 2016/17 bieten die Realschulen in Baden-Württemberg neben dem Realschulabschluss auch den Hauptschulabschluss an. Welcher der beiden Abschlüsse für die Schülerin oder der Schüler geeignet ist, wird jedoch erst nach der Orientierungsstufe entschieden. Diese besteht aus den Schuljahren 5 und 6. Hier werden alle Schülerinnen und Schüler alle auf Realschulniveau unterrichtet und benotet. 

Das Problem mit der Orientierungsstufe an der Realschule

Viele Realschullehrerinnen und -lehrer kritisieren, dass die Beschulung und Benotung auf Realschulniveau für einige Schülerinnen und Schüler frustrierend und demotivierend ist. Außerdem sei das Spektrum des Lernniveaus in den Klassen so hoch, dass die Lehrerinnen und Lehrer keine Möglichkeit hätten, ein passendes Lehrniveau für alle zu finden und individuell passend zu fördern. 

Realschullehrer sind mit der Orientierungsstufe unzufrieden

Im vergangenen Jahr erhielten 54,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Grundschulempfehlung für die Realschule. Da die Realschule zusätzlich den Schülerinnen und Schülern offen steht, die nach der Grundschule eine Hauptschulempfehlung erhalten haben und auch von Schülerinnen und Schülern als Ausweichmöglichkeit genutzt wird, die im Gymnasium überfordert waren, ist die Schulform sehr stark frequentiert. An den 479 öffentlichen und privaten Realschulen im Land sind im Schuljahr 2020/2021 insgesamt 209.552 Kinder unterrichtet worden. 

Realschullehrer möchten den Hauptschulabschluss an den Realschulen wieder abschaffen

Das Kultusministerium hat sich nach der Landespressekonferenz einsichtig gezeigt. Man arbeite bereits seit Monaten an einer qualitativen Weiterentwicklung der Schulform. „Die Regelung in der Orientierungsstufe, dass nur auf Realschulniveau bewertet wird, ist demotivierend für einige Schülerinnen und Schüler, die durchgehend schlechte Noten bekommen. Und das ist wiederum auch für die Lehrkräfte schwierig und belastend“, sagt Kultusministerin Theresa Schopper. „Ziel unserer Veränderung ist es, eine langfristig stabile und gute Entscheidung zum Wohl der Schülerinnen und Schüler zu treffen. Unabhängig von der Schulart müssen alle Schülerinnen und Schüler ein gelingendes Ankommen in der weiterführenden Schulart haben und auch auf die Berufswelt vorbereitet werden.“

VBE schlägt neues Konzept für die Realschule vor

Der VBE hat selbst ein Konzept für die Reform der Realschulen vorgeschlagen. Dieses sieht vor, einen Hauptschulabschluss an Realschulen nur dann anzubieten, wenn sich keine Hauptschule in erreichbarer Nähe befindet. Zudem bevorzugt das Konzept ein Modell, in dem Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulempfehlung und jene mit Realschulempfehlung von Anfang an getrennt unterrichtet werden. 

Konzept für die Reform der Realschule vom VBE

„Auch das Konzept, das der VBE erarbeitet hat, wird in unsere Überlegungen zur Weiterentwicklung einfließen", sagt dazu Theresa Schopper. „Allerdings ist es unsere Aufgabe, alle Fragen auch unter Ressourcengesichtspunkten anzuschauen und zu überlegen, was auch unter dieser Maßgabe machbar ist.“ 

CDU: Unterstützen das Konzept des VBE

Auch einige andere Parteien haben sich für eine Reform ausgesprochen. Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Alexander Becker, sagt etwa: „Für uns als CDU-Fraktion ist klar: Die Realschule muss sich weiter profilieren können. Die Forderungen nach einer Verkürzung der Orientierungsstufe sowie der Eröffnung von Möglichkeiten, gesonderte Züge einzurichten, Kooperationen einzugehen oder Schulverbünde zu nutzen, teilen wir ausdrücklich.“ 

FDP: „Es ist unabdingbar, die Haupt- und Werkrealschulen zu stärken.“

Der bildungspolitische Sprecher der FDP/DVP-Fraktion, Timm Kern, sagt: „Wenn die Realschulen zum Sammelbecken für alle werden, gleich welche Begabung das Kind hat, dann werden die Kinder in ihrem landesverfassungsmäßigen Recht, differenziert beschult zu werden, beschnitten – und das mit teils dramatischen Konsequenzen für die gesamte Bildungsbiographie und das spätere Leben der jungen Menschen. Ich fordere deshalb Grün-Schwarz auf, diesem bildungspolitischen Unsinn ein Ende zu setzen und den Hauptschulabschluss an den Realschulen nur dort anzubieten, wo in vertretbarer Entfernung keine Haupt- und Werkrealschulen vorhanden sind. Dies muss jedoch eigenständig und von den M-Zügen unabhängig umgesetzt werden. Zudem ist es unabdingbar, die Haupt- und Werkrealschulen zu stärken.“