Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg
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Kommunalwahlrecht: So könnten sich die Wahlen verändern

Die Änderung des baden-württembergischen Kommunalwahlrecht soll noch in diesem Jahr kommen. Im Koalitions- vertrag hat die Landesregierung sie angekündigt, mit einem Eckpunktepapier wurde sie untermauert. Das von der Landesregierung erklärte Ziel: Die Attraktivität der kommunalpolitischen Ämter stärken. Die kommunalen Landesverbände sehen einige der Vorhaben kritisch und stellen die Attraktivitätssteigerung in Frage. Doch welche Änderungen sind genau geplant?

Mindestalter von Bürgermeistern

Bisher: Kandidaten müssen das 25. Lebensjahr vollendet haben und dürfen nicht älter als 67 Jahre sein, um bei einer Bürgermeisterwahl antreten zu dürfen. Mit 73 Jahren müssen Bürgermeister spätestens in den Ruhestand gehen. Auch wenn die reguläre Amtszeit noch nicht beendet ist. 

Geplant: Die Landesregierung möchte das Mindestalter für Bürgermeisterkandidaten auf 18 Jahre senken. Eine Altersobergrenze soll vollständig entfallen. 

Die Nein-Stimme bei Bürgermeisterwahlen

Bisher: Bei Bürgermeisterwahlen – egal wie viele Kandidaten antreten – haben die Wähler die Möglichkeit, einen Kandidaten auszuwählen oder auf einem freien Feld einen alternativen Bürgermeisterkandidaten vorzuschlagen. 

Geplant: Bei Bürgermeisterwahlen mit nur einem Kandidaten soll die Möglichkeit einer ablehnenden Stimmabgabe geprüft werden.

Stichwahl bei Bürgermeisterwahlen

Bisher: Konnte keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnen, kam es zu einer Neuwahl. Hier konnten sich neue Kandidaten bewerben und alte aussteigen. 

Geplant: Die Landesregierung möchte die Neuwahl durch eine Stichwahl austauschen. Bei dieser treten die beiden Kandidaten gegeneinander an, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen geholt haben. 

Rückkehrrecht nach der Amtszeit

Bisher: Ein Rückkehrrecht in den Beruf ist nach der kommunalpolitischen Amtszeit rechtlich nicht verankert. 

Geplant: Beschäftigte beim Land und den Kommunen sollen zukünftig ein Rückkehrrecht nach dem Ende ihres kommunalen Wahlamtes erhalten. 

Mindestalter von Gemeinde-, Ortschafts- und Kreisräten

Bisher: Um sich für die Wahl zum Gemeinde-, Ortschafts- oder Kreisrat aufstellen lassen zu können, müssen Kandidaten mindestens 18 Jahre alt sein. 

Geplant: Das Mindestalter für das passive Wahlrecht soll für Gemeinde-, Ortschafts- und Kreisratswahlen auf 16 Jahre gesenkt werden. Baden-Württemberg wäre damit das einzige Bundesland, bei dem das passive Wahlrecht für Kommunalwahlen unter 18 Jahren liegt.

Änderung des Auszählverfahrens

Bisher: Derzeit werden die Stimmen bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg nach dem Verfahren von Sainte-Laguë/Schepers ausgezählt. Bei diesem Auszählverfahren wird zunächst die Gesamtanzahl aller zu berücksichtigenden Stimmen durch die Gesamtanzahl der zu verteilenden Sitze geteilt und so ein gemeinsamer Divisor ermittelt. Die jeweiligen Zweitstimmen für die einzelnen Parteien werden dann durch diesen Divisor geteilt. Die sich ergebenden Quotienten werden zu Sitzzahlen gerundet, das heißt bei einem Rest von mehr oder weniger als 0,5 wird auf- oder abgerundet – anders als etwa bei d’Hondt, wo immer abgerundet wird. 

Geplant: Die Landesregierung möchte überprüfen lassen, ob das Auszählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers das Einziehen kleinerer Gruppierungen in die Kommunalparlamente begünstigen und so zur Zersplitterung führen kann. Sollte dies der Fall sein, könnte es zur Rückkehr zur Auszählung

nach d’Hondt kommen. 

Erhöhung der Einwohnerschwelle für die Aufstellung von Wahlvorschlägen

Bisher: Die Einwohnerschwelle für die Aufstellung von Wahlvorschlägen, die höchstens doppelt so viele Bewerber enthalten wie Gemeinderäte zu wählen sind, liegt bei 3.000 Einwohnern.  

Geplant: Laut Koalitionsvertrag will die Landesregierung die Einwohnerschwelle auf 5.000 Einwohner hochsetzen. So sollen die Menschen vor Ort mehr Optionen bekommen.

Kommunalwahlrecht: In Prüfung

Die Landesregierung will die Änderung weiterer Punkte des Kommunalwahlrechts prüfen:

  • Geprüft werden soll, ob es sinnvoll wäre, auch in kleineren Kommunen zu verlangen, dass eine bestimmte Zahl an Unterstützerunterschriften gesammelt werden müssen, um für kommunalpolitische Ämter kandidieren zu dürfen. So sollen „Spaßkandidaturen“ vermieden werden. 
  • Zudem möchte die Landesregierung prüfen, wie man die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalpolitischem Amt erhöhen könnte. 

Kommentar: Das „Morgen“ muss auch bei der Änderung des Kommunalwahlrechts die Richtschnur sein

Die Änderung des Kommunalwahlrechts ist eines der Kernanliegen der grün-schwarzen Landesregierung für die laufende Legislaturperiode. Klar ist, dass der Leitspruch des grün-schwarzen Koalitionsvertrages auch bei der Debatte über die vorgesehenen Änderungen des Kommunalwahlrechts die zentrale Richtschnur sein muss: „Jetzt für Morgen“.

Luisa Pauge über das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg
Ein Kommentar von Luisa Pauge, Dezernentin des Gemeindetags Baden-Württemberg

Ziel muss es sein, das kommunale Wahlamt attraktiver zu machen. Wie wichtig das ist, zeigt auch die aktuelle Coronalage – es sind die Spitzen der Kommunalverwaltung, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort, die zu wahren Krisenmanagern werden und die Probleme anpacken. Gerade die haupt- und ehrenamtlichen Verantwortungsträger sind die maßgeblichen Garanten der kommunalen Selbstverwaltung in der Fläche, sie sichern ein funktionierendes Gemeinwesen und die lebendige Demokratie. 

Insbesondere mit Blick auf den Prüfauftrag zur etwaigen Einführung einer ablehnenden Stimmabgabe bei (Ober-) Bürgermeisterwahlen mit nur einem Bewerber (Nein-Stimme) können wir aber keine Steigerung der Attraktivität des kommunalen Wahlamtes erkennen. Ganz im Gegenteil: Die mögliche Einführung der Nein-Stimme droht das herausgehobene Amt des Schultes zu beschädigen. 

Das Wahlrecht besonders auf kommunaler Ebene ist in Baden-Württemberg etabliert und bewährt. Es reicht in seinen Grundzügen auf die erste Gemeindeordnung 1956 zurück. Das baden-württembergische Kommunalwahlrechtssystem kennt bisher bei Wahlen keine Ablehnung. Warum auch, stellt eine Wahl doch grundsätzlich eine Entscheidung für einen Bewerber dar – ein positives Votum für zur Wahl stehende Vorschläge und Bewerber. 

Im Übrigen gibt es seit jeher die Möglichkeit, eine andere wählbare Person auf dem Stimmzettel gültig einzutragen. Aus unserer Sicht braucht es diesen Paradigmenwechseln nicht – die Wählerinnen und Wählern können auch heute schon ihren Willen in Gänze zum Ausdruck bringen. Zudem bietet das vorhandene System den Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit – ganz im demokratischen Sinne – aktiv ihren eigenen Bewerber-Vorschlag einzubringen. Einfach nur dagegen sein dürfen, gehört nicht zu den Grundsätzen einer demokratischen Wahl. Es gibt erste Signale, dass die Landespolitik die Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung überdenken will.

Auch die geplante Einführung einer Stichwahl im zweiten Wahlgang bei Bürgermeisterwahlen ist für uns kein wirksames Instrument, um für ein Mehr an Bewerbern, ein Mehr an Qualifikation – kurz: ein Mehr an Attraktivität zu sorgen. Die bisherige Regelung der „echten Neuwahl“ im zweiten Wahlgang ermöglicht – als Alleinstellungsmerkmal – allen Bewerberinnen und Bewerbern aus dem ersten Wahlgang eine erneute Wahl und ist zudem von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vollumfänglich akzeptiert. 

Ein Kommunalwahlrecht im Duktus des „Jetzt für Morgen“ bedeutet nach unserem Dafürhalten aber auch, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass kommunale Gremien stabilisiert werden. Dies gilt auch für den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Prüfauftrag hinsichtlich des Auszählverfahrens. Aus unserer Sicht ist klar: Das Auszählverfahren bei Kommunalwahlen sollte zum verfassungsrechtlich zulässigen Berechnungsverfahren nach d’Hondt zurückgeführt werden. Denn auch in Zukunft müssen vor Ort Entscheidungen getroffen werden, für die es in Baden-Württemberg handlungsfähige Städte und Gemeinden braucht. Hierfür braucht es stabile Gremien mit einem klaren Kompass, orientiert an Lösungen für das Gemeinwohl.