Ein Integration unterstützt die Chancengleichheit vor Ort.

Integrationskonzept - So fördern Kommunen die Vielfalt

Spätestens seit 2015 denken Städte und Gemeinden systematisch darüber nach, wie sie Zugezogene in ihre Gemeinschaft aufnehmen können. Integrationskonzepte können die Bemühungen nachhaltiger gestalten. Doch wie werden diese Konzepte erarbeitet? Wer kann helfen? Und ist Integration überhaupt das Ziel?

2015 kam auf das Vordere Kandertal eine Aufgabe zu, die zunächst überwältigend schien. Den sechs kleinen Kommunen des Gemeindeverwaltungsverbands wurden Geflüchtete zur Unterbringung zugeteilt. Schnell musste sich um Unterkünfte gekümmert werden. Doch damit beginnt die Arbeit erst. Denn die Geflüchteten benötigen Unterstützung, um sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden. Wie im ganzen Land reagierte man auf die neue Situation sofort im Tagesgeschäft. „Als 2015 viele Geflüchtete zu uns kamen, haben wir uns natürlich um Integration bemüht“, erinnert sich der Hauptamtsleiter der GVV Vorderes Kandertal, Dominik Kiesewetter. „Doch im Tagesablauf handelt man im Affekt und hat weniger das Langfristige im Blick. Integration ist aber ein langfristiges Projekt und wir haben schnell bemerkt, dass wir für die nachhaltige Integration ein Konzept brauchen.“

Der GVV Vorderes Kandertal hat sein Integrationskonzept mit viel Bürgerbeteiligung erstellt.
Der GVV Vorderes Kandertal hat sein Integrationskonzept mit viel Bürgerbeteiligung erstellt.

Die GVV Vorderes Kandertal nahm sich vor, dieses Projekt mit möglichst viel Bürgerbeteiligung durchzuführen. In einer Auftaktveranstaltung, zu der alle Bürger eingeladen waren, wurde gemeinsam definiert, wo Handlungsbedarf besteht. In zwei später folgenden Workshops sind Politiker, Bürger, Vereine und Hilfsorganisationen tiefer in diese Handlungsfelder eingestiegen, um konkrete Maßnahmen zu definieren. Im November 2019 war das Projekt abgeschlossen und auf einer Abschlussveranstaltung wurden die gemeinsam definierten Maßnahmen vorgestellt.

Der Handlungsbedarf wurde in gemeinsamen Diskussionen definiert.
Der Handlungsbedarf wurde in gemeinsamen Diskussionen definiert.

Dazu gehören zum Beispiel:

  • Ein Café für alle
  • Schulungen zu Themen wie eine Wohnung finden, Energie sparen oder Müll trennen
  • Rechtsseminare für Geflüchtete und Hilfsorganisationen
  • Neubürgerempfänge mit einem ‚Markt der Möglichkeiten‘
  • Speed-Dating für Arbeitgeber und Geflüchtete
  • Bezahlbaren Wohnraum schaffen

Eine weitere Maßnahme – Personal einzustellen, das für die Integration verantwortlich ist – wurde sofort umgesetzt: Die Integrationsbeauftragte Andrea Kühne und der Integrationsmanager Philipp Lotter kümmern sich um die Umsetzung des Integrationskonzepts und die konkrete Unterstützung der Geflüchteten. „Ich habe aus dem Rohmaterial ein Integrationskonzept erstellt, dessen Maßnahmen im Laufe der nächsten fünf Jahre umgesetzt werden sollen“, erklärt Andrea Kühne. „Einige Maßnahmen werden wir sehr kurzfristig umsetzen, andere – wie mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – werden länger brauchen.“

GVV bündelt Kräfte für das Integrationskonzept

In dem Integrationskonzept definiert Kühne insgesamt 16 Maßnahmen. Das Konzept soll als Broschüre gedruckt und mit dem Mitteilungsblatt an alle Haushalte des GVV verschickt werden. Dass die sechs Mitgliedskommunen der GVV – Binzen, Fischingen, Eimeldingen, Rümmingen, Schallbach und Wittlingen - ein gemeinsames Integrationskonzept erstellen würden, war von Anfang an klar. „Im Verwaltungsverband haben wir Kommunen mit 3.200 bis 700 Einwohnern“, sagt Kiesewetter. „Mit insgesamt 10.000 Einwohnern hatten wir eine ganz andere Basis, um über die nötigen Schritte zu sprechen. Es ist sinnvoll, bei der Integration unsere Kräfte zu bündeln.“

Die Führungsakademie unterstützt bei der Erstellung von Integrationskonzepten

Unterstützung erhielt der GVV dabei durch die Führungsakademie Baden-Württemberg. Das baden-württembergische Sozialministerium unterstützt über das Programm „Integration durch bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Prozessbegleitung für Kommunen und Landkreise“ die Förderung ehrenamtlicher Helfer und die Erstellung eines Integrationskonzepts. Den Kommunen werden dazu zwei Prozessbegleiter von der Führungsakademie gestellt.

Prozessbegleiter der Führungsakademie helfen vor Ort

„Die Prozessbegleiter gehen individuell auf die Städte und Gemeinden ein, gucken, welches Engagement für die Integration bereits vorhanden ist, fördern und aktivieren es“, erzählt Martina Fuß, Pressesprecherin der Führungsakademie. „Dann helfen sie dabei, ein nachhaltiges Konzept aufzustellen.“ Dafür muss die Kommune einen Mitarbeiter auswählen, der für das Projekt verantwortlich ist und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Die Führungsakademie begleitet Kommunen nun zum zweiten Mal im Zuge dieses Programms.

Friesenheim schon 2018 mit Integrationskonzept

Die Gemeinde Friesenheim hatte schon deutlich früher ein eigenes Integrationskonzept entwickelt. Im März 2018 wurde es vom Gemeinderat beschlossen. „Als uns für die Anschlussunterbringung vor fünf Jahren 140 Geflüchtete zugeteilt wurden, brach erstmal Panik aus“, sagt Erik Weide, Bürgermeister der Gemeinde. „Alte Immobilien mussten schnellstmöglich instandgesetzt und neue Baugebiete ausgewiesen werden, um den nötigen Wohnraum zu schaffen.“ Die Gemeinde hat schon früh einen Integrationsbeauftragten eingestellt, der eng mit Hilfsorganisationen wie dem Netzwerk Solidarität zusammengearbeitet hat. So kam es zu der Idee, ein Integrationskonzept zu entwickeln. Die Stadtverwaltung holte sich dazu Hilfe beim Netzwerk Solidarität und den Vereinen in der Gemeinde.

"Die Corona-Pandemie hat viele Ressourcen gebunden"

„Es ging besonders darum, zu definieren, wer wofür zuständig ist, wer bei was helfen kann, wo die Anlaufstellen für Geflüchtete sind“, erklärt Weide. „Der Austausch, der entstanden ist, war sehr wichtig.“ Denn so begannen die Vereine sich bei den Geflüchteten vorzustellen und die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde und dem Netzwerk Solidarität intensivierte sich. „Das Netzwerk arbeitet autark, aber sie sagen uns Bescheid, wenn sie Unterstützung brauchen“, sagt Weide. „Sie bekommen zum Beispiel einen Raum von der Gemeinde gestellt.“ Zudem stärke das Konzept den Rücken der aktiven Helfer. Doch wie sieht die Lage heute aus, 2,5 Jahre nach Verabschiedung des Konzepts? „Die Integrationsarbeit gehört zu unserem Alltag und ich denke, sie würde nicht so reibungslos verlaufen, hätten wir das Konzept nicht erstellt“, sagt Weide. „Gleichzeitig muss ich zugeben, dass das Konzept und die aktive Integrationsarbeit in den letzten Monaten in den Hintergrund gerückt sind. Die Corona-Pandemie hat viele Ressourcen gebunden. Da habe ich schon manchmal gedacht: ‚Wir müssen eigentlich wieder aktiver an der Integration arbeiten.‘“

Vielfaltskonzept statt Integrationskonzept

Gegen ein übliches Integrationskonzept entschied sich Filderstadt. Wie die GVV Vorderes Kandertal, hat Filderstadt die Erstellung des Integrationskonzepts mit Bürgerbeteiligung begleitet. „Wir wollten so viele Bürger wie möglich einbinden“, erzählt die Leiterin des Amts für Integration, Migration und Soziales in Filderstadt, Barbara Scheubert. Deshalb hat die Stadt Experteninterviews, eine mehrsprachige anonyme Online-Befragung sowie zwei Vorbereitungsworkshops durchgeführt, für die gut 800 Filderstädter per Zufallsauswahl angeschrieben worden waren und zwei große Integrationskonferenzen veranstaltet. „Dadurch kamen einige Menschen, die sonst nicht in diesem Bereich aktiv sind“, ergänzt Maryna Kuzmenko, Integrationsbeauftragte der Stadt Filderstadt. Die Stadt wollte einen Querschnitt der gesamten Bürgerschaft zu dem Thema hören und so gleichzeitig möglichst großen Rückhalt für das Konzept erhalten.

Durch die breite Bürgerbeteiligung, in deren Rahmen zahlreiche konstruktive Diskussionen stattgefunden haben, hat sich eine Grundhaltung schnell herauskristallisiert: Es soll nicht darum gehen, dass sich die neu Zugezogenen in etwas Bestehendes integrieren, sondern dass die Erfahrungen und Kompetenzen der Menschen unterschiedlicher ethnischer, kultureller, religiöser, weltanschaulicher, sprachlicher Prägungen, die in Filderstadt leben, gemeinsam die Gesellschaft vor Ort gestalten.

Maryna Kuzmenko, Integrationsbeauftragte der Stadt Filderstadt

Maryna Kuzmenko ist Integrationsbeauftragte der Stadt Filderstadt

„Es sollen sich auch die Potentiale Aller entfalten können. Davon profitiert am Ende die ganze Stadt“, ergänzt Scheubert. Das Konzept sollte weniger an Defiziten und mehr an den Ressourcen orientiert sein, die jeder Einwohner mitbringt.

Dazu gehört auch, dass die Menschen, die in Filderstadt leben, hier teils unter sehr unterschiedlichen Bedingungen leben. Teil unseres Konzepts sollte deshalb auch die Chancengerechtigkeit für alle sein. Mit dieser Vorstellung schien der Begriff der Integration nicht mehr zu dem zu passen, was wir anstreben.

Barbara Scheubert, Leiterin des Amts für Integration, Migration und Soziales in Filderstadt

Barbara Scheubert, Leiterin des Amts für Integration, Migration und Soziales in Filderstadt

Deshalb hat man in Filderstadt nun statt eines Integrations- ein Vielfaltskonzept erarbeitet. Ähnlich wie in der GVV Vorderes Kandertal identifizierten Bürger, Vereine, Organisationen und Stadt gemeinsam die Hürden und definierten Maßnahmen, um diese zu überwinden. „Die Bürger haben in der 2. Integrationskonferenz die Entwicklungsziele und Maßnahmen dann selbst priorisiert und wir haben daraus eine Top 10-Liste erstellt“, erzählt Kuzmenko.

Zweite Integrationskonferenz der Stadt Filderstadt

Aus dieser entwickelt Scheubert einen konkreten Plan für die ersten Schritte, den sie im November dem Gemeinderat vorlegen wird. Ein Katalog konkreter Maßnahmen soll in jedem Jahr entwickelt und dem Gemeinderat vorgelegt werden. „Es ist uns wichtig, dass wir die Maßnahmen zeitnah umsetzen“, sagt Scheubert. „Die Bürger sind sehr engagiert und wir möchten, dass sie bald Ergebnisse sehen können.“