Friedrichshafen und 39 weitere Kommunen arbeiten gemeinsam mit einer Agentur am Gebärdensprach-Avatar. Für mehr Barrierefreiheit auf kommunalen Webseiten.
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Gebärdensprach-Avatar soll Webseiten barrierefreier machen

Um ihre Webseiten für Menschen mit einer Gehörschädigung besser nutzbar zu machen, setzen über 40 Kommunen in einem deutschlandweiten Projekt nun auf einen Gebärdensprach-Avatar. Dieser soll mit der Zeit selbstlernend dazu in der Lage sein, jeden Text automatisch in Gebärdensprache zu übersetzen.

Für die meisten Menschen, die gehörlos oder schwer gehörgeschädigt aufwachsen, ist es schwer, die deutsche Schriftsprache zu erlernen. Die Gebärdensprache ist gewöhnlich die Muttersprache, die deutsche Schriftsprache erlernen viele nur wie eine Fremdsprache oder gar nicht. Deshalb sind Webseiten für sie auch nur schwer nutzbar, wenn sie ausschließlich den Text zur Verfügung haben. Während es mittlerweile ein relativ großes Angebot an Webseiten gibt, die für die Nutzung mit Vorlese-Assistenten optimiert sind, also für die Nutzung durch sehbehinderte Menschen, ist die Barrierefreiheit von Webseiten für Gehörgeschädigte noch in ihren Anfängen.

Algorithmus soll in Zukunft Text in Gebärdensprach-Videos übersetzen

Ein Gebärdensprach-Avatar kann kommunale Webseiten barrierefreier machen. Es handelt sich um eine animierte Figur, die in Videos Texte der Webseiten in Gebärdensprache übersetzt – ein digitaler Gebärdendolmetscher. Bisher müssen diese Videos jeweils manuell hergestellt werden. Der zeitliche Aufwand ist hoch und die Kosten für Kunden damit ebenfalls. Das soll das deutschlandweite Projekt „Avatar-basierter Sprachassistent zur automatisierten Gebärdenübersetzung“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, ändern. Denn hier wird eine selbstlernende Software – auch bekannt als künstliche Intelligenz – trainiert, die in der Zukunft automatisch dazu in der Lage sein soll, Texte in Gebärdensprach-Videos zu übersetzen. So wird nicht nur die gesamte Webseite in Gebärdensprache verfügbar. Jegliche Änderungen der Webseite können sofort auch in den Gebärdensprach-Videos adaptiert werden, ohne dass wieder eine Firma mit der Umsetzung beauftragt werden muss. Bei der Umsetzung arbeitet die KI-Firma mit gehörgeschädigten Menschen zusammen, um die Tauglichkeit in jedem Schritt überprüfen zu können. 

Teilnehmende Kommunen liefern essenzielle Textbausteine

An dem Projekt nehmen circa 40 Kommunen teil. Darunter auch baden-württembergische Städte und Gemeinden: Tuttlingen, Ulm, Fellbach, Esslingen am Neckar, Böblingen, Hemmingen, Konstanz, Pforzheim, Sigmaringen und Friedrichshafen. Das Projekt Gebärdensprach-Avatar ist im Dezember mit einer Kick-Off-Veranstaltung gestartet. Nun werden die ersten Videos umgesetzt. „Unsere Aufgabe als teilnehmende Kommune ist es jetzt, erst einmal daran mitzuarbeiten, eine Textbasis zu schaffen“, erklärt Monika Blank, Pressesprecherin und Zuständige für die Webseite der Stadt Friedrichshafen. Zuerst sollen die für die Barrierefreiheit gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtinhalte umgesetzt werden. So muss etwa die Navigation der Webseite in Gebärdensprache erklärt werden. 

Baukastensystem für Videos mit Gebärdensprach-Avatar 

Alle teilnehmenden Kommunen schicken ihre Texte zu den Pflichtinhalten an die umsetzende Firma, wo sie in Videos mit Gebärdensprach-Avatar umgesetzt werden – zunächst noch manuell. So soll eine Plattform mit einem Baukastensystem aus Videos entstehen, aus denen alle teilnehmenden Kommunen die jeweils für sie passenden wählen können. Auf lange Sicht sollen davon alle Kommunen profitieren können. „Wir haben bereits Material für ein bis zwei Duzend Videos geliefert“, sagt Monika Blank. „Das ist viel Arbeit, aber für den Mehrgewinn lohnt es sich ohne Frage.“

Friedrichshafen möchte in Zukunft alle Texte durch Gebärdensprach-Software übersetzen lassen

Die ersten Videos sollen in der ersten Jahreshälfte 2023 fertiggestellt und dann schnellstmöglich auf den Webseiten eingebunden werden. „Es geht jetzt im ersten Schritt um die gesetzlichen Minimalanforderungen“, sagt Monika Blank. „Aber da wollen wir natürlich nicht stehen bleiben. Auf unserer Seite soll man sich zukünftig in Gebärdensprache erklären lassen können, wie man einen Personalausweis beantragt und alle anderen Behördengänge bei uns erledigt. Wann immer der Avatar so weit ist, möchten wir, dass jeder Text auf unserer Seite durch ihn übersetzt werden kann.“

„Wer Barrierefreiheit und Inklusion ernst nimmt, muss auch Gebärdensprache ernst nehmen"

Die Stadt Friedrichshafen beteiligt sich an dem Entwicklungsprojekt finanziell mit einem mittleren vierstelligen Betrag. Dazu kommen viele Arbeitsstunden, die in das Projekt gesteckt werden. Das ist das Thema der Stadt wert, wie Blank sagt: „Wer Barrierefreiheit und Inklusion ernst nimmt, der muss auch Gebärdensprache ernst nehmen. Barrierefreiheit ist für uns ein tägliches Thema – im Analogen genauso wie im Digitalen.“ Deshalb hat die Stadt ihre Webseite vor fünf Jahren komplett neu aufsetzen lassen. Sie ist barrierefrei programmiert und die Inhalte werden barrierefrei eingepflegt. „Die Anforderungen der Barrierefreiheit müssen beim Einpflegen auch immer mitberücksichtigt werden, denn ansonsten hat niemand etwas davon“, sagt Blank. „100 Prozent Barrierefreiheit werden wir vermutlich nie erreichen, aber wir haben einen großen Ehrgeiz so nah heranzukommen, wie es nur geht.“