Netzwerk der Bürgermeisterinnen
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Für mehr Diversität in der Kommunalpolitik - „Es braucht eine Emanzipation des Mannes“

Der Frauenanteil an den Bürgermeisterposten in Baden-Württemberg stagniert seit vielen Jahren bei circa zehn Prozent. Wie können mehr Frauen für das wichtigste Amt in den Kommunen begeistert werden? Das Netzwerk der Bürgermeisterinnen hat sich diese Aufgabe zum Ziel gemacht. Und hält unter anderem ein neues Rollenverständnis des Mannes für nötig.

Oberbürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen sollten sich gegenseitig austauschen können. Sie sollten sich gegenseitig stärken und voneinander lernen. Davon waren die Bürgermeisterinnen in Baden-Württemberg bereits in den 1990er-Jahren überzeugt. Deshalb gründeten sie das Netzwerk der Bürgermeisterinnen. „Das Netzwerk der Bürgermeisterinnen ist ein Angebot an alle Oberbürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen in Baden-Württemberg und ist von der damaligen Oberbürgermeisterin von Heidelberg, Beate Weber, gegründet worden“, erzählt Hannelore Reinbold-Mench, Bürgermeisterin der Gemeinde Freiamt und eines der langjährigsten Mitglieder des Netzwerks. „Unser Ziel ist neben dem fachlichen Austausch die Werbung für das Amt.“ Den fachlichen Austausch hält Hannelore Reinbold-Mench für das Fundament des Netzwerks. Er läuft permanent per Messenger-Dienst und E-Mail-Verteiler. „Darüber hinaus treffen wir uns einmal jährlich in Präsenz und diskutieren Fachthemen ebenso, wie die allgemeinen Anforderungen an unseren Beruf“, ergänzt die Bürgermeisterin von Freiamt.

Unser Ziel ist es natürlich, mehr Frauen für das Amt zu gewinnen. Zugleich ist es unser Anliegen, in den Gremien der Kommunalen Landesverbände noch stärker vertreten zu sein, um die frauenpolitischen Anliegen noch nachhaltiger vortragen zu können.

Hannelore Reinbold-Mench, Bürgermeisterin der Gemeinde Freiamt

Hannelore Reinbold-Mench über die Ziele des Netzwerks der Bürgermeisterinnen

Die jährlichen Treffen finden jedes Mal in einer anderen Stadt oder Gemeinde statt. Auch die Organisation wechselt jährlich. Die jeweils verantwortliche Bürgermeisterin ist dann auch dafür zuständig, mit neu gewählten Bürgermeisterinnen in Kontakt zu treten und zum Netzwerk einzuladen. Den Hauptgrund dafür, dass nur knapp zehn Prozent der Bürgermeisterposten in Baden-Württemberg mit Frauen besetzt sind, identifizieren die Bürgermeisterinnen alle gleichermaßen: Es ist die fehlende Vereinbarkeit des Amtes mit der Familie.

Eine Umfrage bei jungen Verwaltungsstudentinnen hat ergeben, dass viele Frauen die Vereinbarkeit einer Führungsaufgabe mit entsprechendem zeitlichem Aufwand und Familie scheuen. Arbeitszeiten bis in den späten Abend und am Wochenende werden als belastend wahrgenommen und schrecken ab.

Sarina Pfründer, Bürgermeisterin der Gemeinde Sulzfeld

Sarina Pfründer über die Hürden auf dem Weg zur Bürgermeisterin

Hiervon sind Frauen stärker betroffen als Männer, da das klassische Rollenbild der Frau als Verantwortliche für Familie und Haushalt nach wie vor die Familiengestaltung beeinflusst. Ob eine Frau, die eine Familie hat, für den Bürgermeisterposten kandidiert, hängt daher stark vom Selbstverständnis der jeweiligen Familienmitglieder ab.

Die Familie, insbesondere der Partner oder die Partnerin, muss das Amt aktiv unterstützen. Aufgrund der zeitlichen Belastung muss der Partner oder die Partnerin viel Familienarbeit stemmen. Insbesondere letzteres bedarf ein modernes Selbstverständnis des Mannes als Familienvater. Nach der Emanzipation der Frau braucht es quasi eine Emanzipation des Mannes, damit allgemein akzeptiert wird, dass auch ein Mann zwischen den verschiedenen Rollen im Leben wählen kann und nicht allein auf die Rolle des Hauptverdieners festgelegt wird.

Martina Fehrlen, Bürgermeisterin der Gemeinde Urbach

Martina Fehrlen über Frauen in der Kommunalpolitik

Bürgermeisterin Katja Liebmann aus Schlier hat dahingehend selbst sehr positive Erfahrungen gemacht.

Meine persönlichen Erfahrungen decken sich nicht unbedingt mit dem, was viele Kolleginnen erlebt haben. Zum Zeitpunkt meiner Kandidatur waren unsere Kinder neun und elf Jahre alt und mein Mann stand von Anfang an hinter meiner Kandidatur und hat mich bestärkt zu kandidieren. Wir haben die Rollen damals ‚einfach‘ umgedreht. Er hat nach meiner erfolgreichen Wahl den Stellenumfang auf 50 Prozent reduziert und sich um Haushalt und Kinder gekümmert und mir den Rücken freigehalten.

Katja Liebmann, Bürgermeisterin der Gemeinde Schlier

Katja Liebmann über ihre Erfahrung mit dem Amt der Bürgermeisterin

Doch nicht nur die Partnerin oder der Partner muss die eigene Rolle genau überlegen: „Auf der anderen Seite muss jede Frau in einer Managementposition ihre Rolle als Mutter innerhalb der Familie klären. Viele Mütter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und dies lässt sich nicht mit einem 60-Stunden-Job vereinbaren. In der freien Wirtschaft erprobt man Teilzeitführungsmodelle. Ob dies für die Position als Bürgermeisterin beziehungsweise Bürgermeister funktioniert, wage ich zu bezweifeln.“ An diesem Punkt darf die Diskussion jedoch nicht stehen bleiben, meint etwa Anette Schmidt, Bürgermeisterin der Stadt Tauberbischofsheim. Denn ist es wirklich unumgänglich, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister 60-Stunden-Wochen arbeiten? Laut Schmidt könnte hier schon eine Beigeordnete oder ein Beigeordneter für die kleineren Kommunen für wichtige Entlastungen sorgen. 

Repräsentation in Presse, politischer Vertretung und Hochschulen nötig

Mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf enden die Hemmnisse, für ein Bürgermeisteramt zu kandidieren, jedoch nicht. Es fehlen auch die Vorbilder für ein modernes Familienverständnis und für Frauen in Führungsrollen, die Frauen Mut machen, sich um Positionen wie das Bürgermeisteramt zu bewerben. Martina Fehrlen ist überzeugt, dass hier aktiver gestaltet werden muss. Es brauche mehr Repräsentation in der Presse, in den politischen Vertretungen und auch an den Hochschulen. „Frauen spielen immer noch eine untergeordnete Rolle in der von Männern dominierten Bürgermeisterrunde“, sagt auch Katja Liebmann. „Hier kann es durchaus zu Hemmungen kommen. Auch ist das Rollenbild teilweise noch sehr männlich geprägt. Vielen Frauen fehlt hier vielleicht der Mut, sich für eine solche Position zu bewerben, fachlich drauf hätten es bestimmt viele. Zum Vergleich: Der Frauenanteil an den Hochschulen für öffentliche Verwaltung liegt bei 80 Prozent.“ Liebmann hat bereits einige Verbesserungsvorschläge: „Es braucht Mut, Vorbilder und vielleicht auch eine Imagekampagne, um Frauen für den Job als Bürgermeisterin begeistern zu können. Und nicht nur auf der kommunalen Ebene sollte man mehr Frauen ermutigen zu kandidieren. Hier können die Parteien und geeignete Listenaufstellungen auch draufhinwirken.“

Ein weiteres Hemmnis – nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer – ist die zunehmend aggressive Haltung, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern besonders in den sozialen Medien begegnet.

Die Inhalte in den sozialen Medien und die immer fordernder und aggressiver werdende Bevölkerung führen zu immer weniger Privatsphäre. Die Bürgermeisterin ist die Politikerin vor Ort mit direktem persönlichem Bezug und aus Sicht der Bevölkerung für alles verantwortlich. Ein Bürger sagte mir mal: ‚Sie sind die Bürgermeisterin, sie haben für mich sieben Tage in der Woche 24 Stunden am Tag da zu sein.‘ Manchmal ist sogar die Familie im Fokus und muss einiges aushalten. Der Inhalt unserer Arbeit ist den meisten Bürgerinnen und Bürgern in ihrer Vielfalt und in ihrer Komplexität nicht bewusst. Hier ist dringend Aufklärungsarbeit erforderlich.

Anette Schmidt, Bürgermeisterin der Stadt Tauberbischofsheim

Anette Schmidt über die Belastungen, das das Amt der Bürgermeisterin mit sich bringt.

Denn dass es sich beim Bürgermeisterposten um eine lohnenswerte und erfüllende Rolle handelt, da sind sich die Bürgermeisterinnen einig. „Für die Bewerbung um das Amt der Bürgermeisterin habe ich mich entschieden, weil hier Gestaltung möglich ist“, erinnert sich Hannelore Reinbold-Mench. „Einen Ort voranzubringen ist eine spannende Aufgabe. Menschen für ein Ziel zu begeistern und mitzunehmen, ist dabei unerlässlich und ein interessanter Auftrag. Die Ergebnisse des Handelns werden zeitnah sichtbar, auch wenn die Komplexität der Verwaltungsvorschriften in den letzten Jahren zugenommen hat. Die Tätigkeit ist nach vorne gerichtet und bietet ständig neue Herausforderungen.“ Ähnlich formuliert es auch Martina Fehrlen: „Auf der kommunalen Ebene findet das Leben von der Wiege bis zur Bahre statt und hier hat man unmittelbaren Einfluss auf die Lebensqualität vor Ort. Der Beruf ist erfüllend und vielseitig. Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen.“