Fachkräftemangel in den Kitas - Baden-württembergische Kommunalpolitiker erzählen aus der Praxis
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Fachkräftemangel in Kitas - Wer passt auf unsere Kinder auf?

Attraktive Zusatzangebote für Fachkräfte, Fortbildungen für Quereinsteiger und flexiblere Platzvergabe – Städte und Gemeinden suchen händeringend nach Lösungen für den Fachkräftemangel in den Kitas. Ein Problem, das durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen noch einmal verschärft werden könnte.

Die Stadt Kandern möchte attraktiver für Kita-Fachkräfte werden. Einen offenen Dialog über mögliche Maßnahmen hat Bürgermeisterin Simone Penner ermöglicht, indem sie Elternvertreter und Kindergartenleitungen zu einem Gespräch eingeladen hat. Zu den gesammelten Ideen gehören etwa Gratifikationssysteme und die Hilfe bei der Wohnungssuche. Die Stadt möchte zudem stärker in die Aus- und Weiterbildung investieren. In beiden städtischen Kitas werden neue Ausbildungsplätze für die PIA-Ausbildung ausgeschrieben. Eine Seminarreihe zur Qualitätssteigerung durch Teamqualifizierung läuft bereits und in beiden Kitas gibt es Veranstaltungen zur Sprachförderung. Die Stadt bemüht sich darum, für Kita-Fachkräfte interessanter zu werden, weil in Kandern –wie in den meisten baden-württembergischen Kommunen – die Personaldecke angespannt ist. Mehrfach mussten die Betreuungszeiten bereits zeitweise verkürzt werden. Und in den nächsten Jahren werden voraussichtlich weitere Plätze in den Kitas geschaffen werden müssen. Eine Entspannung der Situation ist nicht absehbar.

Fachkräftemangel bereits deutlich spürbar

„Der Fachkräftemangel ist an den Kitas in Baden-Württemberg bereits deutlich spürbar“, sagt auch Bettina Stäb, Leitung der Stabsstelle Frühkindliche Bildung und Soziales des Gemeindetags Baden-Württemberg. „Die Ausweitung der Ganztagsbetreuung, der steigende Bedarf in der U3-Betreuung und die vorgeschriebenen Leitungszeiten durch das Gute-Kita-Gesetz haben den Fachkräftebedarf in kurzer Zeit enorm erhöht. Und nun kommt noch die Ganztagsbetreuung in den Grundschulen hinzu.“ In vielen der knapp 9.000 Kitas in Baden-Württemberg hat man bereits die Erfahrung gemacht, dass Stellen schwerer neu zu besetzen sind als noch vor einigen Jahren. Im Allgemeinen kann der Bedarf jedoch noch gedeckt werden. Vertretungen sind jedoch kaum zu finden. Fällt Personal etwa wegen Krankheit oder Elternzeit aus, müssen Betreuungszeiten nicht selten verkürzt werden.

Mehrbedarf von 40.000 Fachkräften in den nächsten fünf Jahren

Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg kommt 2020 zu dem Schluss, dass an den Kitas bis 2025 ein Mehrbedarf von rund 24.240 Fachkräften bestehen wird. Dazu kommen Ersatzbedarfe von rund 15.500 Fachkräften. Insgesamt müssten also innerhalb von fünf Jahren 40.000 neue Fachkräfte ausgebildet werden. Zwischen 2013 und 2019 lag die jährliche Zuwachsrate zwischen 2.000 und 7.000. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Fachkräfteradar für Kita und Grundschule der Bertelsmann Stiftung. Er zeigt zunächst den positiven Trend der letzten Jahre auf: Das pädagogische Personal in Baden-Württemberg ist von 2011 bis 2020 um 73 Prozent angestiegen auf knapp 100.000 Fachkräfte. Zudem ist der Betreuungsschlüssel in Baden-Württemberg besser als der westdeutsche Median. Der Fachkräfteradar zeigt jedoch auch, dass der Bedarf der U3-Betreuung bereits enorm gestiegen ist. Wurden 2007 nur elf Prozent der unter dreijährigen Kinder in Kitas betreut, waren es 2020 bereits 30 Prozent. 2019 gaben in einer Umfrage 43 Prozent der Eltern an, einen Betreuungswunsch für ihr unter dreijähriges Kind zu haben. Der Fachkräfteradar berechnet den Fachkräftemangel 2030 für sieben verschiedene Szenarien. Je nach Szenario liegt der Bedarf an Zusatz- und Ersatzfachkräften laut diesen Berechnungen bei zwischen 33.700 und 77.200 Fachkräften im Jahr 2030. Sowohl die Berechnungen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg als auch die des Fachkräfteradars wurden gemacht, bevor im letzten Jahr der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen ab 2026 verabschiedet wurde. Dieser wird die Situation auf dem Fachkräftemarkt voraussichtlich weiter strapazieren.

Forbach: Die Belegung von Betreuungsplätzen muss flexibler werden

„Die Situation vor Ort und die Prognosen zeigen, dass die Ausbildungskapazitäten massiv erhöht werden müssen“, sagt Bettina Stäb. „Das ist aber keine kurzfristige Lösung – schon allein wegen der Dauer der Ausbildung. Wir brauchen also zusätzliche Lösungen, die den Personalbedarf schnellstmöglich decken.“ In den Städten und Gemeinden gibt es daher den Wunsch nach mehr Flexibilisierung. Etwa bei der Belegung der Betreuungsplätze, wie Margit Karcher, Hauptamtsleiterin der Gemeinde Forbach, erklärt. In der Gemeinde mit knapp 4.700 Einwohnern ist es während Elternzeiten, Mutterschutzzeiten und Krankheitszeiten schon wiederholt zu Engpässen gekommen, weil der Personalpuffer fehlt. „Bei jeder Kündigung steht zu befürchten, dass die Stelle nicht wieder besetzt werden kann“, so Karcher. Die Hauptamtsleiterin hält deshalb kurzfristig eine Kombination aus „wir passen uns den derzeitigen Rahmenbedingungen an“ und „wir arbeiten an einer Verbesserung“ für den zielführenden Weg. „Die Eltern, die dringend einen Betreuungsplatz suchen, werden diesen sicherlich nicht ablehnen, wenn in der Gruppe statt 22 Kindern in einer Übergangsphase auch 24 Kinder betreut werden.“ Ähnlich sieht es auch Irene Bauchle, Bürgermeisterin der knapp 4.600-Einwohner-Gemeinde Rot an der Rot. „Wir sehen, dass während des Jahres durch Wegzüge, Zuzüge und Bedarfsänderungen die zu Jahresbeginn geplante Platzbelegung ohnehin immer wieder verändert werden muss. Unsere jahrelange Erfahrung zeigt, dass wir im Laufe des Jahres meistens alle Kinder aufnehmen können, die sich bewerben. Nur eine Zusage dürfen wir zu Beginn des Kindergartenjahres nicht machen, was besonders bei den berufstätigen Eltern zu Frust führt. Könnte man hier flexibler planen, würde sich die Anzahl der Plätze vermutlich nur in wenigen Fällen tatsächlich erhöhen, aber es würde viel Ärger vermieden.“

Rot an der Rot: Der Fachkräftemangel betrifft auch den Ländlichen Raum

Auch das Platzsharing-Modell sei in seiner jetzigen Form zu starr. Die Eltern hätten genaue Zeiten, zu denen sie ihre Kinder in die Betreuung bringen wollen. Man könne daraus keine Verhandlung machen. „Das gesamte Modell des Platzsharings sollte auf die heutigen Bedürfnisse angepasst werden.“ In den drei Kitas in Rot an der Rot, die in kommunaler Trägerschaft liegen, sind alle Stellen besetzt, die Suche nach gutem und motiviertem Personal habe sich jedoch auch hier mit der Zeit immer schwieriger dargestellt. Auch im Ländlichen Raum zeige sich der Fachkräftemangel. „Auch bei uns im ländlichen Bereich ist ein Anstieg der U3-Betreuung deutlich spürbar. Die Hintergründe sind vielfältig. Einerseits sind unsere Eltern gut ausgebildet und die Arbeitgeber haben großes Interesse daran, diese Fachkräfte schnellstmöglich wieder für sich zu gewinnen“, sagt Bauchle. „Andererseits gibt es auch viele Eltern, die sich um die Pflege von Familienangehörigen kümmern müssen – oder auch Eltern, die ihr Kind ganz bewusst sehr früh in die Krippenbetreuung geben, um dem Kind möglichst früh den Kontakt zu vielen anderen Kindern in ihrem Alter zu ermöglichen.“

Dettenheim: Öffnungsklauseln sollten mehr Quereinstiege in den Kitas ermöglichen

Der Einsatz von Quereinsteigern ist in den Städten und Gemeinden ebenfalls ein wichtiges Thema. Nach dem Fachkräftekatalog gibt es bereits verschiedene Qualifikationen, die es ermöglichen, auch als Quereinsteiger in einer Kita zu arbeiten. Und diese werden auch genutzt. „Wir setzen vermehrt auf Ausbildung und auf Quereinsteiger mit Fachfremdenprüfung, um den Personalbedarf langfristig decken zu können“, sagt Jacqueline Förderer, Bürgermeisterin der Stadt Schrozberg. Die Kommunen sehen hier jedoch auch einen Überarbeitungsbedarf. „Es sollte Öffnungsklauseln geben, damit mehr Quereinsteiger das Personal unterstützen können“, fordert etwa Ute Göbelbecker, Bürgermeisterin der Gemeinde Dettenheim. Katrin Harder, Hauptamtsleiterin bei der Gemeinde Neckartenzlingen, wünscht sich zudem Fortbildungsangebote für Quereinsteiger.

Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie attraktiv der Berufseinstieg in diesem Bereich gestaltet ist. Wir sollten den Wiedereinstieg – etwa nach der Elternzeit – erleichtern, ebenso wie den Wechsel zwischen Teilzeit und Vollzeit. Zudem könnte man auch Quereinsteiger künftig auf den Personalschlüssel anrechnen.

Bettina Stäb, Leitung der Stabsstelle Frühkindliche Bildung und Soziales des Gemeindetags Baden-Württemberg

Bettina Stäb über den Fachkräftemangel in den Kitas