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Erhebung: Jugendliche im Ländlichen Raum wollen ernst genommen werden - und mitgestalten!

Eine Zahl vorab: 91 Prozent der befragten Jugendlichen fühlen sich an ihrem derzeitigen Wohnort wohl. Eine Zahl, die man als Statement für die Lebensqualität der kleineren Städte und Gemeinden im Land lesen kann. Doch einer aktuellen, repräsentativen Jugendstudie zufolge sehen junge Menschen auch Verbesserungsbedarf. Es fehlt an Treffpunkten, an Mobilitätsangeboten und an Wohnraum - und damit an einer langfristige Bleibeperspektive.

Auch legt die Jugendstudie ein großes Bedürfnis nach Mitgestaltung bei den Jugendlichen offen. Die Gemeinden kommen diesem Bedürfnis bereits entgegen, wie Beispiele aus Heddesheim und Amtzell zeigen: So hat die Verwaltung der oberschwäbischen Gemeinde Amtzell 2019 die App "Amtzell NOW" lanciert. Jugendliche können mit ihr an Votings und Umfragen teilnehmen, eigene Projektideen einbringen und sich so aktiv an der Entwicklung ihrer Gemeinde beteiligen. 

Heddesheim (Rhein-Neckar-Kreis) hat Bedürfnisse der Jugend schon früh ernst genommen 

In Heddesheim (Rhein-Neckar-Kreis) hat sich Bürgermeister Michael Kessler bereits nach seiner Wahl 1998 auf verschiedenen Ebenen für mehr Jugendbeteiligung stark gemacht. Er ließ eine Jugendhilfekonzeption erstellen, setzte durch, das öffentliche Treffpunkte und Sportplätze geschaffen wurden und band die jungen Leute pragmatisch in die Entscheidungen des Gemeinderats ein. Er unterstützte die Vereine beim Aufbau qualitativ hochwertiger Kinder- und Jugendabteilungen und sorgte für gute Betreuungsangebote. Einen Schwerpunkt legt die Gemeinde auf die Digitalisierung von Schulen, auf die Schaffung von Wohnraum und auf Klimaschutz - auf Zukunftsthemen also, die für den Verbleib Jugendlicher in den Städten und Gemeinden der Studie zufolge große Bedeutung haben. 

Jugendstudie: Große Mehrheit der befragten Jugendlichen fühlt sich am aktuellen Wohnort wohl

Die Studie kommt zu einer differenzierten Betrachtung der Situation der Jugendlichen im Ländlichen Raum. 91 Prozent der Befragten gaben an, sich an ihrem aktuellen Wohnort wohlzufühlen, was wohl als Ausweis dafür verstanden werden kann, dass die Lebensqualität im Ländlichen Raum trotz großer Herausforderungen sehr hoch ist. Diese Herausforderungen bestehen gleichwohl. Vor allem bemängeln die Jugendlichen, dass es vor Ort zu wenig Treffpunkte und Freizeitmöglichkeiten gibt - ein Problem, das Jugendliche in Städten allerdings ebenfalls haben.

Jugendstudie: Wohnraummangel beschäftigt die Jugendlichen

Ein großes Thema für Jugendliche ist der Wohnraummangel. So sagte ein Berufseinsteiger den Wissenschaftlern: "Auf der anderen Seite kann ich es mir hier nicht leisten, ohne Vitamin B zu wohnen. Also wenn du Glück hast, hat deine Oma ein Haus, wo eine Einliegerwohnung leer steht, aber sonst gibt es keine Möglichkeiten. Es gibt Neubaugebiete, aber gleiches Thema, es ist nicht finanzierbar. […] Und das wird auch ein ganz großes Thema für mich, weil ich jetzt dann ausziehen möchte bei meinen Eltern, aber das geht gerade einfach nicht. Also 20 Kilometer weiter weg, dann geht es vielleicht, aber hier auf keinen Fall.“ 

Jugendstudie: Befragte sehen Defizite bei der Mobilität 

Kommunen, die ihren Jugendlichen eine attraktive Perspektive bieten wollen, müssen also bezahlbaren Wohnraum schaffen. Doch damit ist es nicht getan. Auf der Liste, die junge Menschen bewegt, stehen außerdem Ausbildung und Mobilität - zwei Dinge, die in direktem Zusammenhang stehen, wie die folgende Aussage eines der Befragten zeigt: „Wenn ich aber in die Berufsschule muss, […] die ist 50 Kilometer weg, da bin ich ungefähr zwei Stunden unterwegs morgens. Das heißt, ich steh dann irgendwann um fünf Uhr auf, lauf dann in den Nachbarort zum Bus, weil hier keiner fährt, und muss dann noch mit zwei anderen Bussen in die Schule pendeln und abends wieder nach Hause.“ 

Mobilität: Ausbau-Offensive der Landesregierung könnte Abhilfe schaffen

Eine andere Befragte kommentierte in einer Gruppendiskussion zur Mobilität: "Durch diese katastrophale Busverbindung ist es schon ein großer Freiheitseinschnitt, sage ich jetzt einfach mal, weil man einfach immer auf die Eltern angewiesen ist.“ Die Offensive der Landesregierung beim öffentlichen Nahverkehr könnte hier vielleicht Abhilfe schaffen - immerhin beinhaltet die Mobilitätsgarantie einen durchgehenden Busverkehr zwischen 5 und 0 Uhr. 

Minister Hauk: Erhebung gute Grundlage für jugendgerechte Lösungen 

Minister Peter Hauk sieht in dieser ersten repräsentativen Erhebung der Bedürfnisse von Jugendlichen allen voran eine gute Grundlage, um jugendgerechte Lösungen in die Wege zu leiten. „Die Frage, ob junge Menschen auf dem Land bleiben oder dorthin zurückkehren möchten, ist eine zentrale Frage, wenn es um die Zukunft unserer Ländlichen Räume geht", sagte Hauk in der vergangenen Woche bei einer Online-Diskussionsveranstaltung. Hauk hob die Bereitschaft der Jugendlichen zur Mitgestaltung hervor. Laut Erhebung ist diese im Ländlichen Raum deutlich ausgeprägter als im urbanen Raum. Demnach engagieren sich 39 Prozent der Befragten auf dem Land ehrenamtlich, in Städten sind es 30 Prozent. 

Veranstaltungsreihe geplant

Auf die Studie folgt nun eine Reihe von Online-Veranstaltungen mit den Themenschwerpunkten Mobilität, Lebensqualität und Engagement. Darin werden einzelne Aspekte der Studie präsentiert und Praxisbeispiele für Jugendprojekte gezeigt. „Solche Online-Veranstaltungen bieten einen direkten Draht zu Vertretern aus der Kommunalpolitik, der Verwaltung oder Verbänden. Einfach anmelden und einloggen – eine einfachere Möglichkeit, die eigene Stimme einzubringen, gibt es wohl kaum“, sagte Hauk.

Hintergrund: 

Die Studie „Jugend im ländlichen Raum Baden-Württemberg“ wurde von August 2020 bis Dezember 2021 im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz von der Jugendstiftung Baden-Württemberg durchgeführt. Zielgruppe der Erhebung sind Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren, die sowohl im Ländlichen Raum als auch in urbanen Regionen leben, um eine Gegenüberstellung der Ergebnisse zu ermöglichen. Thematische Schwerpunkte sind die Themen Mobilität, Lebensqualität am Wohnort, Engagement und Zukunftsvorstellungen. Auf der Projektwebseite www.studie.land steht die Studie zur Verfügung. 

Zahlen:

  • Von den 1.102 Städten und Gemeinden Baden-Württembergs gehören 656 dem Ländlichen Raum an. 
  • Von den 11 Millionen Einwohnern des Landes leben gut ein Drittel (34 Prozent) im Ländlichen Raum.