
Disparitätenbericht: So steht der Ländliche Raum in Baden-Württemberg da
Die Studie des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund im Auftrag der Friedrich Ebert-Stiftung (FES) ergibt, dass die Zukunft in Deutschland ungleich verteilt ist. Im Vergleich zum letzten Bericht von 2019 zeigt der „Sozioökonomische Disparitätenbericht Ungleiches Deutschland“ weiterhin große Unterschiede in sozialen und räumlichen Aspekten. Obwohl sich die Situation in einigen strukturschwächeren Gebieten leicht verbessert hat, bleibt die Bundesrepublik vielfältig und geteilt.
Erstmals haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neben der Erfassung der aktuellen Lebensbedingungen in den 400 deutschen Städten und Kreisen auch die „Resilienz und Zukunftsfähigkeit“ untersucht. Für die Clusteranalyse hat das ILS ausgewählte repräsentative Indikatoren wie Bruttogehälter, kommunale Schulden und Wanderungssalden verwendet. Die Daten deuten auf vier verschiedene „Deutschlands“ hin:
- Die „räumlichen Innovationspole“ der städtischen Verdichtungsräume, in denen 24,2 Millionen Menschen leben.
- „Resiliente ländliche Räume“ mit weitgehend intakter Sozial- und Wirtschaftsstruktur, hauptsächlich in Süddeutschland mit 18,5 Millionen Einwohnern.
- „Regionen mit partiellen Anpassungshemmnissen“ mit 29 Millionen Einwohnern.
- Die politischen „Sorgenkinder“ der „Räume mit besonderen strukturellen Herausforderungen“, zu denen alle ostdeutschen Bundesländer gehören, mit 11,5 Millionen Einwohnern.
Baden-Württembergs „resiliente ländliche Räume“
Die Studie betont, dass diese Gebiete über wichtige Ressourcen und Potenziale verfügen, um zukünftige Transformationsherausforderungen zu bewältigen. Die Raumforscher aus Dortmund kritisieren auch die „raumblinden Fachprogramme“ des Bundes, die sich überwiegend nicht nach regionalen und strukturpolitischen Bedürfnissen richten. Sie schlagen vor, Mittel künftig bedarfsorientiert zu verteilen, um eine gerechtere Entwicklung zu fördern.
Der Ländliche Raum in Baden-Württemberg fällt in Sachen Resilienz und Zukunftsfähigkeit mit überwältigender Mehrheit in die Kategorie „Resiliente ländliche Räume“. Diesen definieren die Autorinnen und Autoren wie folgt: „Dieser Raumtyp ist vorwiegend in den Landkreisen und Mittelstädten Süddeutschlands vorzufinden, er umfasst aber auch einzelne Landkreise in Westdeutschland, insbesondere in Hessen und im Umland der Metropolen Hamburg und Berlin. In den Indikatoren zu den Innovationspotenzialen liegen diese Regionen tendenziell eher im Mittelfeld.“
Weiter führen sie aus, dass die wirtschaftliche Diversität, die Betreuungsquote von Kleinkindern sowie die Glasfaser- und Schienenanbindung unterdurchschnittlich seien. „Diesen Anpassungshemmnissen zum Trotz weisen die vergleichsweise gute demografische Situation auf den Arbeitsmärkten, die überdurchschnittliche Attraktivität dieser Räume für Hochqualifizierte aus dem Ausland und insbesondere die hohen kommunalen Sachinvestitionen darauf hin, dass die Landkreise und kreisfreien Städte in diesem Cluster insgesamt vergleichsweise gut aufgestellt sind, um zukünftige Krisen und Transformationsherausforderungen zu bewältigen.“
Disparität: Südwesten vor allem in zwei Kategorien vertreten
Bei der Untersuchung von sozialen Disparitäten haben die Forschenden weitere vier Clustertypen definiert.
1. Dynamische Städte mit erhöhter Exklusionsgefahr.
2. Altindustriell geprägte Städte mit strukturellen Herausforderungen.
3. Wohlhabendes Umland.
4. Deutschlands solide Mitte.
Die ländlichen Räume Baden-Württembergs fallen größtenteils in eine der beiden Kategorien „Wohlhabendes Umland“ oder „Deutschlands solide Mitte“. Über die Kategorie „Wohlhabendes Umland" schreiben die Autoren: „In den erweiterten Metropolräumen Süddeutschlands und einigen weiteren Umlandkreisen westdeutscher Großstädte konzentriert sich der Wohlstand in Deutschland. Die Bruttogehälter am Wohnort liegen noch über denen der prosperierenden Großstädte. Die Armutsbelastung und die kommunalen Schulden sind vergleichsweise gering. Die Lebenserwartung und Wahlbeteiligung sind deutschlandweit am höchsten. Auch die Erreichbarkeit von Allgemeinmediziner_innen und die Breitbandversorgung sind überdurchschnittlich. Dabei profitieren diese Räume wesentlich von ihrer Nähe zu den wirtschaftlichen Zentren und historisch gewachsenen Wirtschaftsstrukturen mit vielen großen und mittelständischen Unternehmenszentralen.
Die Kategorie „Deutschlands solide Mitte“ beschreiben sie wie folgt: „Dieser Cluster zeichnet sich durch kaum nennenswerte Abweichungen vom gesamtdeutschen Mittelwert aus. Lediglich ein unterdurchschnittlicher Anteil an hoch qualifizierten Beschäftigten deutet darauf hin, dass einige dieser Regionen in Zukunft Gefahr laufen, den Anschluss an die dynamischen Städte und ihre Einzugsbereiche zu verlieren. Auch die periphere, großstadtferne Lage vieler Kreise ist ein potenzieller Nachteil. Im Gegenzug ist das Armutsrisiko für Kinder tendenziell unterdurchschnittlich und die Zuwanderung höher als in den übrigen Raumtypen. Allerdings ist dieser Raumtyp insgesamt sehr heterogen. Ihm gehören weite Teile des ländlichen Westdeutschlands, einige ostdeutsche Großstädte sowie das Berliner Umland an, das in jüngerer Vergangenheit stark von den Ausstrahlungseffekten der Hauptstadt profitieren konnte.“
Die Forschenden betonen, dass es wichtig sei, Fortschritte sichtbar zu machen. Das Vertrauen in die klimagerechte Umgestaltung steige, wenn erfolgreiche Beispiele für den Wandel sichtbar werden. Das gelte beispielsweise für Ansiedlungserfolge in Ostdeutschland, wie Hightech-Projekte in Grünheide, Dresden und Magdeburg. Formate wie Stadtausstellungen, Gartenschauen und internationale Technologie- und Bauausstellungen können erfolgreiche Transformationsbeispiele zeigen und sollten in vielen Transformationsregionen organisiert und finanziert werden, so die Empfehlung der IRS-Studie.