
„Aktiv mitgestalten statt nur schimpfen“
die:gemeinde: Herr Russ, Sie sind zum ersten Mal im Gemeinderat vertreten. Was hat Sie motiviert zu kandidieren, und welche Themen sind Ihnen besonders wichtig?
Nico Russ: Ich war bereits auf landespolitischer Ebene ein bisschen aktiv. Politisches Engagement auf kommunaler Ebene hat mich gereizt, weil es mir wichtig ist, aktiv mitzugestalten, statt nur zu kritisieren. Ich denke, dass es einfach ist, sich zu beschweren. Aber selbst Verantwortung zu übernehmen, um Veränderungen herbeizuführen, und selbst einen Beitrag leisten, das ist der Ansatz, den ich verfolgen möchte.
die:gemeinde: Wann haben Sie sich entschieden zu kandidieren?
Nico Russ: Das war eher eine spontane Entscheidung, so etwa drei, vier Monate vor der Wahl. Die Gemeinde ist damals an mich herangetreten – meine Heimatgemeinde – und hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, im Gemeinderat mitzuwirken. Ich bin inzwischen recht bekannt in der Stadt, auch durch meine Tätigkeit als Gründer, und das hat mir die Entscheidung eigentlich erleichtert.
die:gemeinde: Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?
Nico Russ: Ich muss sagen, dass das eine sehr gute Erfahrung war. Natürlich gibt es immer ein paar Unbelehrbare, die gegen alles und jeden sind, aber die sind meistens auch schon bekannt. Wir sind viel herumgekommen, haben viele Gespräche geführt. Was mir allerdings aufgefallen ist: Viele Menschen sprechen eher über bundespolitische Themen, statt sich auf kommunale Fragen zu konzentrieren. Es bringt aber wenig, bei einer Kommunalwahl über das Cannabisgesetz zu diskutieren – das sind Themen, die wir gern am Stammtisch oder bei einem Kaffee besprechen können, aber hier vor Ort in Biberach können wir da nicht viel bewirken. Ich versuche den Leuten dann zu vermitteln, dass sie zwischen den verschiedenen politischen Ebenen unterscheiden müssen.
die:gemeinde: Die Atmosphäre im Wahlkampf war also friedlich?
Nico Russ: Ja, auf jeden Fall. Die meisten Menschen wollten einfach ins Gespräch kommen, und die wenigen Unbelehrbaren sind wirklich eine Randgruppe. Insgesamt waren die Begegnungen respektvoll und konstruktiv.
die:gemeinde: Wie zufrieden waren Sie mit Ihrem Wahlergebnis?
Nico Russ: Es haben ein paar Stimmen gefehlt, um die 4.000er-Marke zu knacken. Das wäre natürlich schön gewesen. Aber insgesamt bin ich zufrieden. Ich hatte erwartet, dass ich in dem Bereich lande, also zwischen 3.500 und 4.000 Stimmen, und das hat auch gepasst. Wichtig ist mir vor allem, dass alle im Gemeinderat ehrenamtlich tätig sind, trotz Job und weiteren Verpflichtungen. Deshalb sehe ich das Ergebnis sehr positiv.
die:gemeinde: Sie sind nun Mitglied in verschiedenen Ausschüssen, wie beispielsweise dem Bauausschuss und dem Hospitalrat. Wie waren Ihre ersten Eindrücke von der Arbeit dort?
Nico Russ: Die Zusammenarbeit in den Ausschüssen läuft gut, und ich kenne auch einige Mitglieder aus den anderen Fraktionen. Es gibt natürlich immer streitbare Themen, aber das gehört dazu. Aktuell geht es zum Beispiel um die Frage einer Umgehungsstraße. Ich würde mir wünschen, dass dabei mehr Rücksicht auf die ländliche Lebensrealität genommen wird. Biberach ist nicht nur die Stadt selbst, sondern es gibt auch viele Teilorte und Weiler, und die Mobilität hier unterscheidet sich von der in Berlin oder anderen Großstädten. Ich finde es natürlich auch toll, dass ich in Berlin kein Auto brauche, aber das gilt eben nicht für den Ländlichen Raum hier.
die:gemeinde: Sind die Ausschüsse, in denen Sie tätig sind, auch Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Nico Russ: Ja, der Hospitalrat ist mir sehr wichtig. Gerade in Biberach geht es dabei um vieles, was mit dem Thema Alter zu tun hat. Es gibt Gespräche darüber, altersgerechtes Wohnen zu ermöglichen, was ich für sehr relevant halte. Viele ältere Menschen leben in zu großen Häusern, die sie kaum noch pflegen können, und wenn die Kinder ausziehen, bleibt oft unklar, wohin sie gehen sollen. Ein solches Wohnprojekt könnte da Abhilfe schaffen. Gleichzeitig sollten wir versuchen, ältere Häuser zu sanieren, anstatt sie abzureißen. Das würde auch unserem Ortsbild helfen. Ich finde, das Thema hat auch mit Nachhaltigkeit zu tun, und da gibt es viele Ansätze, die weiterverfolgt werden sollten.
die:gemeinde: Das klingt nach einer spannenden Herausforderung. Sie haben bereits erwähnt, dass die Gemeinderatsarbeit ehrenamtlich ist. Wie stellen Sie sich die Vereinbarkeit mit Ihrem Job vor?
Nico Russ: Über die Jahre habe ich mir eine effektive Arbeitsweise angeeignet. Für mich ist das kein Problem – ich kann die Gemeinderatsarbeit gut in meinen Alltag integrieren.
die:gemeinde: Was zeichnet Biberach aus Ihrer Sicht aus? Wo liegen die Stärken der Stadt und wo gibt es noch Potenzial?
Nico Russ: Ich denke, wir sind ein sehr arbeitstüchtiger Landkreis. Die Arbeitswoche endet für uns nicht einfach mit dem Wochenende, sondern es gibt auch danach immer etwas zu tun – sei es, dass man zu Hause arbeitet oder einem Bekannten hilft, der gerade baut. Das schafft Zusammenhalt. Arbeit muss sinnstiftend sein, dann fühlt sie sich auch nicht wie Arbeit an. Diese Mentalität schätze ich sehr, und ich sehe sie als eine Stärke unserer Region. Gleichzeitig sind wir aber auch manchmal ein wenig verschlossen und vielleicht nicht immer begeistert von neuen Dingen. Da könnten wir uns noch verbessern.
die:gemeinde: Wie ist der Biberacher Gemeinderat in puncto Diversität aufgestellt? Sehen Sie die gesamte Einwohnerschaft repräsentiert?
Nico Russ: Ich denke, wir sind im Gemeinderat ganz gut aufgestellt. Es ist natürlich auch immer eine Frage, wer sich aufstellen lässt. Das Interesse an kommunaler Politik scheint tendenziell mehr von Männern zu kommen. Eine Quote finde ich in dem Zusammenhang schwierig, aber das könnte sicherlich ein Bereich sein, den wir verbessern sollten. Ich bin auch in der Jungen Union aktiv, und wir sehen dort gerade einen positiven Trend – es gibt wieder mehr junge Menschen, die sich für Politik interessieren und einbringen wollen. Ich glaube, dass das Interesse an Politik bei vielen jungen Leuten wächst. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Teil der jungen Leute, die sich überhaupt nicht dafür interessiert. Vertrauen ist in den letzten Jahren verloren gegangen, und es ist für uns auf kommunaler Ebene schwer, das wieder aufzubauen. Aber ich hoffe, dass wir durch transparente Entscheidungen das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen können.
die:gemeinde: Wenn Sie nun in fünf Jahren zurückblicken, was müsste passiert sein, damit Sie sagen können, dass es lohnende Jahre waren?
Nico Russ: Natürlich wird es auch darauf ankommen, was auf uns zukommt. Aber ich habe einige Themen, die mir wichtig sind – wie das altersgerechte Wohnen, das ich bereits erwähnt habe. Das könnte auch für andere ländliche Regionen als Vorbild dienen. Außerdem steht die Sanierung der Grundschule an, was mir ebenfalls wichtig ist.
die:gemeinde: Herr Russ, vielen Dank für das Gespräch.