Lange Wartezeiten wegen einer übermäßigen Zahl an Aufgaben und Personalmangel vermitteln bei vielen ein Bild der Überforderung.
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Weniger ist mehr

Immer mehr Menschen glauben, der Staat versagt und erfüllt seine Aufgaben nicht. Wie lässt sich diesem Eindruck entgegenwirken? Unser Gastautor Rafael Bauschke erklärt, wie neues Vertrauen in Staat und Verwaltung entstehen kann.

Der Staat ist am Ende – diese Einschätzung drängt sich nicht nur auf, wenn man sich in obskuren Internetforen und Chatgruppen bewegt. Selbst in seriösen Umfragen, wie etwa der Bürgerbefragung öffentlicher Dienst des Deutschen Beamtenbunds (dbb), ist das Ergebnis eindeutig: Eine Mehrheit der Befragten (rund 70 %) nehmen eine Überforderung des Staates wahr. Damit setzt sich seit dem Jahr 2020 ein klarer Trend in der jährlich durchgeführten Umfrage fort: Das Vertrauen in den Staat – und damit auch in die kommunale Verwaltung – erodiert.

dbb Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2024

Dieses Ergebnis lässt sich zunächst ein Stück weit relativieren. Man darf die Umstände nicht verkennen. Wir befinden uns seit Jahren mehr oder minder in einem Dauerkrisenmodus. Corona, Migration, Ukraine, Inflation – die Liste ließe sich fortsetzen. Diese Verunsicherung lässt kritischer auf den Staat blicken. Verstärkt wird dies sicherlich auch durch eine Berichterstattung, die nur zu gerne – und auch zu Recht – Beispiele in den Vordergrund stellt, in denen Verwaltung nicht optimal handelt.

Kommunale Verwaltung besser als ihr Ruf

Nüchtern betrachtet kann man eher konstatieren, dass die Verwaltung gerade auf kommunaler Ebene nach wie vor und in den meisten Bereichen erstaunlich gut funktioniert. Erstaunlich deswegen, weil der Druck auf die Verwaltung in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Nicht nur durch eine zunehmende Service- und Erwartungshaltung von Bürgerinnen und Bürgern, sondern vielmehr durch eine immer weiter steigende Belastung von „oben“ – durch Landes- und Bundespolitik.

Drei Aspekte treiben diese Entwicklung. Erstens die zunehmende Dominanz einer politischen Marketinglogik, zweitens eine mangelnde operative Perspektive und drittens verzerrte Grundannahmen darüber, wie eine Gesellschaft sinnvoll zu regulieren sei.

Marketinglogik schafft hohe Erwartungshaltung

Mit der Marketinglogik ist an dieser Stelle die Tendenz politischer Akteure gemeint, sich mehr Gedanken über vollmundige Ankündigungen als um deren praktische Umsetzungen zu machen. So werden Betreuungsgarantien ausgesprochen, immer neue Allianzen geschmiedet und Entlastungspakete geschnürt – denn das klingt erst einmal gut und nach großem Wurf. Doch große Ankündigungen schüren auch immer große Erwartungen in der Bevölkerung. Werden diese Erwartungen dann nicht erfüllt, ist die Enttäuschung umso größer und das Vertrauen in Politik und Verwaltung (denn diese Differenzierung nehmen nur wenige Bürgerinnen und Bürger vor) leidet. Außerdem und damit auch direkt zum zweiten Aspekt wird die operative Umsetzung gerne vernachlässigt. Um im Sprachbild zu bleiben: Das Paket wird geschnürt, aber über eine Zustellung macht man sich keine wirklichen Gedanken.

Hängen bleibt Planung und Umsetzung in vielen Fällen und unter Zeitdruck an den Kommunen. So wächst seit Jahren das Pflichtenheft, doch in den seltensten Fällen geht damit auch die nötige Ressourcenausstattung einher. Das kostet Kraft und befeuert zunehmend Zielkonflikte auf kommunaler Ebene, die mit gleichbleibenden Mitteln immer mehr leisten soll. Der Aufwuchs an Aufgaben ist dabei auch Ausdruck bestimmter Annahmen in der Politik, wie wir als Gesellschaft mit den Herausforderungen und Risiken des Lebens umgehen wollen. Die Tendenz lässt sich mit dem Begriff der Vollkaskomentalität gut fassen: Der Staat soll immer weitere Aufgaben übernehmen, immer weitere Risiken absichern. Doch das befeuert mittelfristig auch eine Erwartungs- und Anspruchshaltung, die wir uns als Gesellschaft leisten wollen müssen und die im Angesicht der zu erwartenden politischen Großwetterlage zunehmend schwierig zu finanzieren sein wird. Ob die Grundannahme über das richtige Ausmaß an Vorsorge auch tatsächlich von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird, wird dabei kaum in Zweifel gezogen – wäre aber im Sinne einer Rückkoppelung der Politik an die gesellschaftliche Erwartungshaltung durchaus sinnvoll.

Rafael Bauschke
Rafael Bauschke ist Professor für politische Kommunikation & empirische Methoden an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. 

Mehr Realismus zwischen Ankündigung und Leistung

Doch wie lässt sich die aufgezeigte Entwicklung durchbrechen? Weder neoliberale noch sozialromantisierende Worthülsen helfen an dieser Stelle. Die Lösung liegt vielmehr in einer gemeinsamen Rückbesinnung von Politik und Verwaltung auf das Wesentliche. Von der Landes- und Bundespolitik nüchternere Kommunikation zu fordern ist naiv. Politisches Marketing gehört zum Geschäft. Realistisch erwarten darf und muss man aber eine zwingende Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Ankündigungspolitik und Leistungserbringung, zwischen Aufgabenaufwuchs und dem dazu notwendigen Ressourcenzuwachs. Doch darüber hinaus braucht es vor allem eine realistische Diskussion über den kommunalen Aufgabenumfang. Was eine moderne Verwaltung leisten muss, ist kein statisches Konzept, sondern muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Das verlangt aber auch viel stärker darüber zu diskutieren, was Verwaltung nicht mehr tun sollte. Das ist keine neue Erkenntnis. Doch ihr gerade jetzt Taten folgen zu lassen, ist entscheidend für eine Stärkung des Vertrauens in die Handlungsfähigkeit der Verwaltung. Zweifelsohne wird der Abbau bestimmter Leistungen und Funktionen dabei nicht bei allen auf Verständnis stoßen – sowohl in der Verwaltung als auch in der Bevölkerung. Dies gilt mit Blick auf die Verwaltung im Übrigen auch für die an dieser Stelle nicht behandelte aber ebenso wichtige Frage, welche technischen und vor allem kulturellen Voraussetzungen eine moderne Verwaltung braucht und welche Schritte nötig sind, um diese Voraussetzungen auch schnell zu schaffen.

Verluste wiegen immer schwerer und an dieser Stelle zu überzeugen ist eine erhebliche kommunikative und organisatorische Herausforderung. Doch vorauseilende Rücksichtnahme an dieser Stelle riskiert nur eine ungleich größere Problemlage in der Zukunft.

Weitere Informationen und den Kontakt zu Rafael Bauschke finden Sie auf der Webseite der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.